Teil V
3. Tag, Mittwoch
Am Dienstag Abend lag ich noch lange wach im Wohnmobil. Nach der Instruktorenfahrt und den Ausführungen von Spatz musste ich viel grübeln. Im Kopf fuhr ich alle Kurven, die er kritisierte nochmals mit späterem Einlenkpunkt und folglich auch nach hinten verlegtem Scheitelpunkt durch. Ausserdem wollte ich nun die ganze Strecke in voller Breite nutzen um die Radien zu vergrössern. Der letzte und wichtigste Punkt war dann auf der Geraden das Gas wirklich mal bis zum Anschlag aufreissen. Eine 600er SRAD hinter mir...kann doch gar nicht sein!
Ich schlief gut und fest nach diesem heissesten Tag, den ich je auf einer Rennstrecke verbracht hatte. Morgen würde ich auch viel mehr trinken müssen. Hatte nämlich den ganzen Tag Kopfschmerzen und das dürfte eindeutig von der Dehydration kommen. Um es vorweg zu nehmen, am Mittwoch trank ich mindestens 5-6 Liter (für mich sind das Unmengen!) und das Problem sollte besser werden...
Am Mittwoch morgen schlug mir beim Verlassen des Womos wieder dieselbe feuchte Hitze ins Gesicht, die Tine Wittlers Gynäkologe immer verspüren musste wenn die Schere aufging!
Ich war hochmotiviert. Hatte richtig Bock zu sehen was das Verändern der Linie so bringt. Wenn ich heute was reissen wollte müsste es gleich im ersten Turn sein. Das war mir klar.
Ausserdem war heute der Tag an dem die Zeiten fürs Quali galten. Heute musste es also nochmal eine Verbesserung geben. Jochen sagte ich, dass es schon geil wäre eine 24 zu schaffen. Müsste doch möglich sein wenn alles rund liefe. Jochen schüttelte nur den Kopf und winkte ab. Irgendwas lässt den Kerl glauben, dass ich viel mehr drauf haben sollte. Er scheint echt von meinem Aussehen auf meine Zeiten zu schliessen...
Um 9 Uhr war die schnellste Gruppe mit Jochen dran. Der war bislang nicht glücklich mit seinen Zeiten. Eine 2:16 war bis dato seine Bestmarke. Letztes Jahr war er hier eine 2:11 gefahren. Bis dahin hatte eigentlich gar keiner seine Bestzeit hier verbessern können. Ob es an der Hitze lag? Insofern war ich ja ganz gut dabei.
Jochen kam nach dem Turn happy auf mich zu und sagte, dass er mir heir doch 10 Sekunden aufbrummen würde. Er war eine 2:14 gefahren. Mist! Da musste ich mich aber strecken...
Um 9:40 war ich dran. Fand es übrigens klasse, dass man bei einem Mehrtagetraining wirklich jeden Tag den selben Zeitplan hat. Da hat man alles im Kopf und muss sich nicht dauernd umstellen. Kenne ich auch anders...
Ich setze mich nochmal in den Stuhl, konzentrierte mich, dachte auch an Bundy´s Aussage dass alleine Bremsen und Gasgeben schon die Spreu vom Weizen trennt und gelobte mir selbst Besserung. Es musste doch möglich sein um diese Strecke
etwas schneller herum zu kommen!!
Los ging´s! Roll out aus der Boxengasse. Sagte ich schon, dass es klasse organisiert war und man selten mal für einen Moment warten musste ehe man rausgelassen wurde?
Ich fuhr die erste Runde wieder moderat obwohl ich dabei schon viele in meiner Gruppe überholte. Verstehe das nicht. Soweit ich sah waren alle auf Rennreifen unterwegs, hatten also auch Heizdecken vorher drauf gehabt. Wozu dann immer diese Schwuchtelei? Die Reifen werden doch eher wieder kälter als besser!? Raus, 2 Kurven und dann Feuer frei...
In der zweiten Runde wollte ich es krachen lassen. Sagte ich schon, dass ich motiviert war?
Ging aber nicht! Zuviel Verkehr. Shit. Dritte Runde das Gleiche. Da fiel mir ein, dass Spatz sagte, in so einem Falle solle ich ruhig mal durch die Boxengasse fahren um mir Luft zu verschaffen. Gesagt-getan. Die vierte Runde also wieder eine Art Rollout und als ich dann die Doppelrechts zur Zielgeraden schön schräg durchflog, sah ich auch, dass jetzt richtig Platz war...
"Gas aufreissen! Bis zum Anschlag!" fiel mir jetzt wieder ein.
Ok. Schon in der Kurve gut am Kabel gezogen und als die K2 halbwegs aufgerichtet war den 3.Gang voll aufgerissen. Trotz Kurzhub (aber nur die mittlere Übersetzung) musste ich fast umgreifen um bis Anschlag zu kommen. Klingt jetzt für euch alle lächerlich und ich kann es nicht begründen aber soo weit hatte ich auf einen Ruck noch die den Gasgriff gedreht. Diesen Tipp hatte ich am Ende dieses Tages dann noch einem nicht-genannt-werden-wollenden Zünder, der 2:07er Zeiten dort fährt gegeben und er kam mit dem selben Grinsen wie ich wieder zurück vom Turn und sagte "Unglaublich was da noch kommt!". Sollte mit Sicherheit mehrere unter euch geben, die genauso doof wie wir sind und dort Zeit verschenken.
Zurück zu mir:
Als ich auf Anschlag stand dachte ich, mich tritt ein Pferd. Alter Schwede hat mein Mopped Dampf!! Wie an einem Katapult gestartet schoss die Gixxe vor und machte mir die Arme lang! Dank Quickshifter auf Anschlag stehen lassen. Rums-4.Gang, Rums-5.Gang. Das Baby riss an wie ich es nie vorher erlebt hatte. Spinn ich oder was hab ich da vorher immer getrieben??
Kurz vorm 150m-Schild rein in die Eisen. Kleines bissl rattern und dann noch halb auf der Bremse abwinkeln in die erste Rechts. Jetzt die 70m bis zur engeren nächsten Rechts nicht rollen. Wieder Gas geben und umso heftiger am 50er Schild bremsen. Ganz links bleiben- Strecke nutzen, länger warten vor dem Einlenken hat Spatz gesagt. Ist wirklich eine Überwindung nicht so früh wie sonst abzuwinkeln dafür dann aber etwas heftiger. Aber ich zwinge mich.
Mit dem rechten Knie über den Kerbs gut um die Kurve rum gekommen. Achte auf deine Blickführung Harry! Das ist wichtig!
Vom linken Fahrbahnrand ganz rüber nach Rechts und dabei nochmal richtig Gas geben. Jetzt kommt die schnelle Links. Die mag ich. Da war ich in der Medium-Gruppe immer bei den Schnelleren. Diesmal aber wieder 2m länger draussen bleiben vor dem Einlenken! Fühlt sich komisch an...gar nicht unbedingt schneller. Aber den Kurvenausgang kriege ich so tatsächlich besser...
Jetzt das etwas längere gerade Stück hoch zur Kurve 4. Da war ich laut Spatz viel zu früh in der Kurve und ich fuhr sie immer von der Mitte aus an statt die ganze Breite zu nutzen. Diese Kurve, genau wie die Blaue-Haus-Kurve, hatte ich letztes Jahr noch gehasst. Jetzt mit dem menschenwürdigen Fahrwerk machten die engeren Kehren sogar Spass! Bin mal gespannt auf meine Lieblings-Kotzkurve, der Spitzkehre nach der Parabolika in Hockenheim...
Die 4 gut erwischt. Früher als sonst Gas aufgezogen. Bundy wär stolz auf mich. Wieder voll bis Anschlag den Gasgriff. Genau da wo die kleine Stufe kommt ist auch mein Schaltpunkt in den Dritten und genau hier geht mir schön das Vorderrad hoch. Geil! Alles kontrollierbar. Beim 50er Schild, oder vielleicht auch bissl früher, gehe ich in die Bremse und fahre die hammer errektive, ewig lange 5er Kurve. Die treffe ich jetzt immer sehr gut. Kann bis fast zum Ausgang an den Kerbs bleiben. Früh Gas und auf der linken Fahrbahnseite wie aufreissen bis Drehgriffende!
Jetzt kommt die 6. Die Kurve, die ich laut Spatz ruhig einen Ticken langsamer fahren kann wenn es mir dafür gelingt auch nach der Kurve ganz Rechts zu bleiben. Gesagt-getan Meister!
Jetzt die lange Doppellinks runter in die Senke. Die fahren viele zu früh an sagte mein Lehrer. Ich bleib diesmal viel länger draussen und hau mich dann mit meinen 100 durchtrainierten Kilo in diese Doppel-Links. Ziehe am Lenker um sie möglichst nicht so weit raus kommen zu lassen. Nach dem ersten Scheitelpunkt ziehe ich das Gas weiter auf als ich es je bisher getan hatte. Ganz schön flott in der Schräglage, alter Mann!
Nach dieser Doppellinks so lange wie möglich ganz links aussen bleiben vor dem leichten Rechtsknick. Dann kannst du den fast wie eine Gerade durchfahren und vor der 9 und 10 später bremsen...sagte der Spatz aber auch der Öttl. Mach ich das halt so...und klappt auch ganz gut. Der Rechtsknick ist jetzt quasi gar keiner mehr!
Jetzt runter in den 2.Gang und die erste enge Rechts genommen. Wenn ich von hoher Gasstellung so plötzlich den Hahn schliesse, knallt meine dicke Berta so herrlich aus dem Auspuff. Klingt gefährlich...wie geil!
Jetzt kommt diese Kurvenkombi wo mir der Öttl einen guten Tipp gegeben hat. Ich hatte immer das Problem, dass ich die beiden Rechtskurven, die man fast wie eine fährt, im 2. gefahren bin und dann bissl Hektik aufkam wenn ich nach Links umlegen wollte, dabei hoch in den 3. schalten sollte und gleichzeitig die 11 vernünftig kriegen musste. War mir alles zu viel.
Öttl sagte mir, ich solle es wie er machen. Nach der ersten Rechts schon hochschalten in den 3. Gang. Dann mit Ruhe und Konzentration die zweite Rechts nehmen. Die muss man nicht so schnell machen weil man da nicht viel Zeit verlieren kann. Die dann folgend Kurve 11, die Links also, die sei eminent wichtig um richtig Speed auf das lange Stück mitzunehmen. Und tatsächlich, wenn ich so fahre nehme ich die zweite Rechts vielleicht einen Tick langsamer, kann aber laaange Rechts aussen bleiben, dann einklappen und viel Gerader auf das lange Stück einbiegen und wesentlich früher Gas aufziehen.
Bisher lief alles super. Die Runde jetzt nicht wegschmeissen Harry! Konzentrier dich! Mein Gott ist Zünden anstrengend wenn man sich auf so viele Änderungen gegenüber früher konzentriert!
Jetzt das lange Stück. Diesmal zum Glück Hasenfrei...
Kurz vor der Kante lege ich die Plautze auf den Tank um dem Überschlag zu entgehen. Hier zahlt sich meine körperliche Pracht aus.
Nun kommt die Stelle bei der ich bis zum Schluss unsicher bin wann da zu Bremsen ist. Ich bleib lange Links, ankere noch ein ganzes Stück vor dem Rechtsknick und bremse danach dann nochmals runter für die Blaue-Haus-Kurve. 2. Gang rein, wieder länger draussen bleiben und mit maximalerSchräge durch diese Kehre.
Wir sind fast da.
Gaaaas! Den leichten Linksknick gerade durchfahren und klein machen. Bremsen auf die "Bundy-Gedächtniskurve" hin. Die mag ich nicht wirklich. Auch hier wieder länger draussen bleiben um später nicht wieder so weit raus zu kommen. Funzt!
Nochmal aufreissen, hinter die Verkleidung ducken und dann möglichst schnell durch die geile Doppelrechts auf die Gerade. So, jetzt noch einmal bis zum Drehanschlag aufreissen. Super Runde! Das könnte echt ne 2:24 gewesen sein.
Freue mich! Bin platt, Pumpe wie ein Maikäfer. Rolle die Runde aus und bocke mein altes aber doch viel schnelleres Eisen als ich gedacht habe, unterm John´ek Zelt auf.
Kann trotz der Hitze nichtmal warten bis ich die Lederkombi aus habe. Gehe gleich rüber zum Büro und starre auf den Zeitenmonitor.
Ich starre auf den Aushang...
Alles ist nach Bestzeiten sortiert.
Ich suche nach der 2:26...25...24
Nix dabei! Haben die mich nicht erfasst? War ich doch langsamer?
Also mal 2:27...28 geschaut. Auch nix!
Hääää???
Mein Blick erfasst im Augenwinkel doch die Buchstabenkombination die mich schon seit 43 Jahren begleitet.
Wo steht denn mein Name? Ein Blatt höher??
Was, wo, wie?
2:21,18 min!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!
Harry kann doch bissl was!! Fast 6 Sekunden schneller!!
Hätte das nieeeee für möglich gehalten! Nur durch die Linie und das Gas aufreissen. Wenn mir Spatz jetzt noch was zum Bremsen und Beschleunigen erzählt...dann...
Ich gehe zurück zum Zelt wo Jochen schon neugierig wartet.
"Yiiihaaaaa!" rufe ich schon von weitem und schwenke das Handtuch über meinem Kopf wie ein Rotor!
"2:21,18 min!" sage ich überglücklich zu ihm "Die Wette mit den 10 Sekunden gilt!"
Jochen hat geschluckt und irgendwas von "Mist!" gebrabbelt. Aber natürlich hat er sich sehr für mich gefreut.
Ich nehm´s vorweg: Die Luft war raus. Ich war so dermassen happy mit dieser unerwarteten Leistungssteigerung, dass ich keinen Bock mehr hatt in der Hitze aufs Mopped zu steigen. War viel zu aufgedreht. Mir ging´s einfach nur galaktisch. Genau für diesen Moment, wo du deinen Namen an einer Stelle der Liste siehst, wo du nie gehofft hattest hinzukommen, für diesen Moment der Glückseeligkeit mache ich das alles. Da ist es wurscht ob ein Bundy zum erstenmal unter 2:00 fährt oder ein Harry 2:21 hinlegt. Es ist persönlich einfach unglaublich befriedigend!
Den Rest des Tages verbrachte ich so:
Abends haben wir dann noch die Türken weggehauen, einiges an Bier vernichtet und gegrillt. Ein völlig perfekter Tag also...