Besser spät als nie....
Part V: Mein erster Turn
Nachdem ich mir die Lachfalten ob Hajo`s Neutralstartversuch wieder weggebügelt hatte, machte ich mich auf dem Weg zu meiner kleinen schwarzen Blade, um nochmal alles zu checken. Hatte ich nicht irgendwas vergessen? Plötzlich erschien mir eine riesige Wickie-Glühbirne direkt über meiner Hackfresse: Pling! Reifenwärmer!! Wär gar nicht so schlecht wenn ich mich mal schlau machen würde ob und falls ja, welche ich da benutzen konnte...
Soviel ich wusste hatte Hajo schwarze ttsl-Wärmer, welche ich zusammengerollt in der Ecke der Box liegen sah. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und montierte sie an meiner Blade. Durch den größeren Umfang des hinteren 195-Dunlop-Schlappens blieben ca. 5 cm unbeheizt. Ich nahm mir vor, diese Stelle nachher durch gezielte Gasstöße besonders sorgfältig warmzufahren.
Nach einer halben Stunde begab ich mich mal zur Boxenmauer, um Hajo ein bisschen zuzuschauen. Was er machte sah gut aus. Nils aus dem CBR-Forum stoppte ihn und war entzückt, als er eine 1:37er-Zeit auf seinem Handydisplay erblickte. Yep, dachte ich so bei mir, das konnte noch lustig werden. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, da sah ich ein gelbes Motorrad in die Boxengasse einfahren. Wie? Was? Das konnte nicht Hajo sein - es war noch keine Dreiviertelstunde um und er hatte auch nicht das vereinbarte Zeichen gemacht! Fück fück fück! Ich hatte den Helm natürlich noch nicht auf, die Handschuhe lagen noch in der Box, und die ungewohnten Reifenwärmer waren noch drauf. Ich war wild am hantieren als Hajo wild schlingernd an der Box ankam. „Bruder, du hast nicht gewunkt!“ sagte ich entrüstet. „Entschuldigung du Sacknase, aber mein Heck ist gebrochen!“ entgegnete er nicht weniger entrüstet. Ich schwang mich elfengleich auf die serienmäßige Sofasitzbank der Blade und war etwas konsterniert... Heck gebrochen? Scheisendreck - war das Abenteuer Bördesprint etwa schon bald wieder zu Ende? Und als ich am Ende der Boxengasse Günni aka „Pit Lane`s End“ stehen sah, fragte ich mich, ob das Schicksal mich dazu auserkoren hatte, wie einst Freens, der Teamchef des Teams Männliche Vernunft, das Rennen alleine zu Ende zu fahren. Doch als mein Vorderrad am Ende der Boxenausfahrt nach dem obligatorischen Streckenenterungswheelie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war ich mir sicher, dass Hajo noch etwas einfallen würde um das Problem zu lösen - schließlich hatte man ihn in der Schule schon immer Hajo Mc Gyver genannt, seit er einmal aus einer Macramée-Eule und Kupferdraht einen Reifenwärmer gebastelt und als KLS verkauft hatte.
Tja, unsere kühne Strategie mit 6 Stundenturns war nun dahin, aber ich nahm mir in Anbetracht der ungewissen Situation vor, möglichst lange draußen zu bleiben, damit Mc Gyver sich nicht abhetzen musste.
Die Dunlops funktionierten ab der ersten Kurve genialst - ich hatte außer beim Anbremsen keinen einzigen Rutscher und konnte genau die Linien fahren die ich wollte.
Mein Laptimer zeigte mir konstante 38er- und 39er-Zeiten an, die ich ohne größere Anstrengung fahren konnte. Ich nahm mir vor, nicht zu hart zu fahren, da ich mir ein wenig Sorgen um meine Kondition machte - ich war wegen Hochbauaktivitäten seit Mai 2004 nicht mehr auf meinem Bergfahrrad gesessen, und joggen war mir eh verhasst. Anfangs hatte ich aber keinerlei Probleme und konnte, abgesehen von ein paar haarsträubenden Aktionen mit wirr herumwemsenden Nacktschnecken keinerlei Probleme.
Mangels Training mit der Kilogranate in Oschersleben (ich war dort bisher immer nur mit der doch etwas langsameren KTM gefahren) musste ich den ersten Turn nutzen, um eine schnelle Linie zu finden. Kalle Hennemann flüsterte mir immer wieder von meiner linken Schulter zu dass ich spitzer fahren und die Kurven zu Geraden korealisieren soll.
Natürlich hörte ich auf meinen 1:59-Pann-Gott und gab alles (Übersetzung war übrigens 15/42; Serie 16/40): Ich bremste die schnelle Links nach Start/Ziel nicht mehr wie früher ganz rechts an, sondern blieb nur etwas rechts von der Fahrbahnmitte (5. Gang ausgedreht). Es stellte sich heraus, dass ich erst kurz nach der Brücke anbremsen konnte (beim Anbremsen 2 Gänge zurücktreten), was ich mich im Training noch nicht getraut hatte, und dann die blau-en linken Curbs schneiden konnte (Danke @ Wendelin Schwendeman für den Tipp) um eine Fast-Gerade bis zum Umlegpunkt in die Rechts zu ziehen. Dazwischen beschleunigte ich immer nochmal kurz, um dann noch anbremsend umzulegen und dabei in den 2. runterzuschalten. Ich zog nicht gleich voll nach rechts an die Curbs, wie ich es mit der KTM immer getan hatte, sondern fuhr einen etwas weiteren, spitzeren Bogen, um dann am Ende hart nach rechts zu ziehen, leicht aufzurichten, und Vollstoff zu geben. Es stellte sich schnell heraus, dass diese Linie schnell war - in dem Bereich hatte ich keine Gegner, hehe höhö haha. Ausgangs der Rechts ließ ich mich auch nicht mehr bis ganz auf die linken Curbs raustreiben und sparte mir so auch nochmal ein paar Zentimeter beim Anflug auf die Hasseröder (kurz in den 3. Gang, dann beim Anbremsen wieder zurück in den 2.). Hier variierte ich die Linie je nach Verkehr auf eine innere Ausbrems-und-Blockpass-Linie oder bei Verkehr in der Kurve auf eine weite Linie, bei der ich wieder gegen Ende der Kurve nach innen zog und den Pillemann hernach lustig zerwheelen konnte, während der noch auf den rechten Curbs herum-hoppelte. Dann näherte sich schon wieder meine Lieblingsstelle, die Triple, die mir in jeder Runde wie lecker geschmelzte Maultaschen auf der Zunge lag. Beim Pylon im 3. Gang einlenken (schon leicht im roten Drehzahlbereich), die zweite Curva rechts von der Bodenwelle nehmen, aufrichten und über die Rasengittersteine links neben den linken Curbs der dritten „Kurve“ räubern, die dadurch ihr Recht auf Radius verspielt hatte, das laut Grundgesetz jeder Kurve zustand. Wie mit der KTM konnte ich die Hotelkurve so auf einer Fast-Geraden bis über den Scheitelpunkt hinaus anbremsen (zurück in den 2. Gang beim Anbremsen), kurz und hart nach rechts umlegen, und gleich wieder voll zur Schikane hinbeschleunigen (wieder hoch in den 3.). Diese Linie war so cool und schnell, dass ich mir in jeder Runde am liebsten Knoten in die Haare gemacht hätte vor Freude! Brutal was ich hier immer gutmachte! Da-durch konnte ich beim Rausbeschleunigen immer einen kleinen Gang zurückschalten und reduzierte somit die Highsidergefahr (ich alte Memme...).
Ich hoffe dass nie jemand etwas von dieser kongenialen Linie erfährt, vor allem nicht Oli Struck, der ansonsten bei nächster Gelegenheit eine dicke fette 1:29 hinlegen würde.....
Die folgende Schikane nahm ich wie mein kleinerer Bruder straightforward über beide Curbs, was wieder eine schöne Gerade auf die schnelle Rechts ergab (alles 3. Gang). Man merke aber stets: Die blauen sind die guten Curbs, die roten sind die Bösen - ergo sollte man sie immer exakt an der Grenze schneiden. Yep, danach lenktete ich möglichst spät in die Rechts ein, um früh Gas geben zu können und viel Swing auf die Gegengerade mitzunehmen (4.Gang). Dann bremste ich die Schikane von ganz links bei etwa 120 m hart an, hackte einen Gang zurück in den 3., lenkte wieder spät ein, um ganz rechts bleiben und damit gut aus der Links rausbeschleunigen zu können. Danach zog ich beschleunigend nach ganz links, bremste die schnelle Rechtskompression kurz und hart an, flog mit Schwung durch, die linken Curbs und die Boxenausfahrt mitbenutzend (alles im 3.) - dann nochmal ganz links bleibend hart anbremsen, zurück in den 2. Gang, spät und später einlenken und früh rausbeschleunigen. In alten Tagen hatte ich immer früher eingelenkt, musste dann eine weite Linie über die fiese Bodenwelle und die bösen Curbs fahren und verlor so viel Zeit.
Jau, dann nochmal mit gen Himmel strebendem Vorderrad auf die Zielgerade rausbeschleunigen und bis in den 5 Gang schalten.
Dieses Spiel trieb ich also etwas mehr als 30 Runden. Nach ca. 50 Minuten leuchtete meine Spritanzeige, aber ich blieb noch 5 Runden draußen und gab erst dann das Adlerzeichen, das meine Rückkehr in die Box anzeigen sollte.
Als ich zurückkam sah ich zu meiner großen Freude Hajo auf seinem gelben Boliden sitzen. Ich wusste nicht was passiert war und wie er das Problem gelöst hatte, aber ich war froh dass er weiterfahren konnte.
Flinke Hände wechselten den Transponder, Hajo brannte davon. Ich stieg bedächtig ab, trank einen Schluck Wasser, und legte mich erstmal in meine coole Relaxliege.
Das Leben war herrlich....
