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Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

Infos zu und mit Veranstaltern, aber auch zu anderen Themen,
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Wäre nicht die geniale Gardenadusche angebaut gewesen, wir wären ebenso geschmolzen. Den ganzen Tag hatten wir mehr oder weniger bekleidete Körperteile daruntergehalten, Handtücher auf Köpfe gelegt, um Schweiß und Sonne zu bändigen und getrunken, getrunken, getrunken.

Während unser Henning sich in der Abendsonne mit Reifenwechseln vergnügte, sollte ich schon einmal einkaufen gehen. Mit dem Mädchen bewaffnet machte ich mich nach einer ordentlichen Dusche und der unausweichlichen Frage, "warum denn Dusche?", denn es blieb danach bei einem klebrigen Schwitzekörper, auf den Weg zum Conad. Wir kauften schnell alles ein, was auf der Liste stand. Vor allem Getränke mit Unterhaltungswert für die Kindschaft, denn die hatte bei diesem Wetter am meisten zu leiden, untergebracht in einer Plastikiste gebettet um deren Räder die Hitze waberte, die der Asphalt bis spät in den Abend abstrahlte. Und die beiden hatten sich so bemüht, den Tag zu überstehen. Zwei weitere würden folgen. Sie sollten einen schönen Abend haben.

Kaum, dass wir wieder zurück waren, blies mir gemischt mit der warmen Luft ein Motzschwall entgegen, der ausreichte, den Mann stehen zu lassen und nur die Kindschaft in ein Restaurant zu fahren. Was zuviel war, war zu viel. Mann konnte nicht immer ungestraft alles und jeden und vor allem Kinder anmotzen, wie es ihm beliebte. Während das Mädchen mal wieder kaum Verlustängste zeigte, haderte der Junge mit der Entscheidung. Ich beruhigte ihn damit, dass wir eine Margherita mitbringen würden. Wie hatte ich es satt, rund um die Uhr Familienservice zu spielen und dabei noch alles zu bezahlen, was gerade so Not tat. Damit ich und die anderen am Ende Kotzeimer spielen durften...Generationen von berufstätigen Männern mit Frauen, die in erster Linie nur zur Dekoration geeignet waren, hatten mein volles Mitgefühl. Während Pasta Funghi Porcini in meinen Bauch wanderte, wünschte ich mir die Zeit vor 2020 zurück, in der ich ausreichend oft beruflich unterwegs war, um zumindest kleine Pausen von allem zu haben. Entheiraten war eine echte Option, nicht erst seit heute.

Als das Beste oder Nichts zum zweiten Mal neben der Plastikkiste hielt, blieb das Gemotze aus. Wir bekamen sogar ein Dankeschön für die Pizza. Wow.

Mann bekam ein Dankeschön für die Reifen. Immer noch daran zweifelnd, dass hinten ein neuer V02 besser passen würde als ein alter, bereitete ich mich darauf vor, die Matratze vollzuschwitzen. Morgen früh würde ich wieder meine Anziehsachen durchwaschen und per Heißluftfön trocknen lassen. Was einerseits eine körperliche und mentale Herausforderung war, erwies sich als durchaus praktikabel.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Mitch91 »

Ich hab die Brille 3x auf und ab gesetzt. Hätte mir mein Rücken nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht, hätte ich es mir live auf der Strecke angeschaut :D
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Die Sonne lachte - mir fies ins Gesicht. Heute wurde ich ein Kackhäufchen auf Toast an den Jungen los. Mehr konnte ich nicht servieren, die Nüsse waren alle. Zu kalt war es heute definitiv nicht. Ich dachte an Most und den zu heißen Reifen. Und ich dachte an Wolle und seine Hinweise, die ich penibel befolgte. Und siehe da, ich startete etwas schneller in den Tag, als ich gestern aufgehört hatte. Es wurde wärmer und wärmer. Die Sonne kannte keine Gnade. Gardena musste schon am Vormittag ran. Ich maß und ließ ab, was zuviel war. Während der Vorderreifen sich ordentlich herzeigte, beobachtete ich hinten wieder dasselbe. Das Gummi sah verdammt zerschmolzen und ausgefetzt aus. Beim Fahren hatte ich das Gefühl, dass ich die Kurve damit eincremte. Nicht nur, weil ich mit Popometermanagement so beschäftigt war, sondern auch, weil diese Strecke so verdammt schwer zu fahren war, hatte ich keine Zeit, die Landschaft zu bewundern. In meiner Au-Kurve zwickte es immer noch regelmäßig. Berg runter pfiff der Wind wie Hulle und Berg rauf, was soll man da erwarten, wenn es Berg runter nicht lief...

Zur Mittagspause pfiff ich auf Wolle und sah mich nach einem anderen Hinterreifen um. Reifen-Marcin wollte fast 300€ für einen Pirelli, jaa Mischung war da, und Breite auch, aber obwohl ich genug Geld hatte, dafür irgendwie nicht. Das sah ich nicht ein. Unser Henning zauberte einen Reifen aus seinem Portfolio, diesen sonst merkwürdig aufgerissenen Michelin, den er leider in der falschen Mischung aus der Schweiz bekommen hatte. Falsche Mischung? Mir egal. Alles war jetzt besser als weiter Kurven einzucremen. Und die Argumentationskette ging weiter: Eventuell würde der ja bei mir nicht aufreißen, ich wäre ja ganz sanft beim Beschleunigen und ich hätte ja mit der 600er sowieso weniger Risiko, dass das passieren könne. Aufreißen? Mir egal, ich wollte endlich keine Kurven mehr eincremen. Aber der bräuchte 90°C und müsse auch heiß gehalten werden. Gut, dass mir unser Henning diese Capit-Raketenwärmer besorgt hatte, wo man was einstellen konnte. Aber heiß halten, dass müsse schon sein.

Die Sonne knallte ins Fahrerlager. Heißhalten war wohl eher nicht das Problem.

Der Reifen-Marcin konnte seinen Kram behalten. Ich fuhr jetzt 200er. (wenn wir gut aufgepasst hätten, wäre uns aufgefallen, was später dem Jungen auffiel, ich hatte schon einen 200er drauf, der am Vorabend aus Unachtsamkeit auf die Felge gewandert war)

Auch, wenn die Mittagspause nicht besonders lang war, einen Reifen aufzuwärmen war hier sowas von kein Problem. Das Problem war eher, Schatten zu finden, und bei der Wechselei nicht in Ohnmacht zu fallen. Heute hatten sich alle ein Abendessen im Restaurant verdient, egal, wer noch worüber rummotzen würde.


Und auf den neuen Reifen konnte ich die Capits tatsächlich in vollem Umfang draufziehen. Dass das eher mit der Oberfläche und nicht mit den Reifen zu tun hatte, merkte ich erst beim nächsten Versuch. :lol:


Nach 1,5 Tagen Mugello, fühlte ich mich erstmalig richtig ausgerüstet, erneut abzurechnen.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Ich rollte neben den Hütchen auf die Strecke, rum, nahm Fahrt auf, bergauf, links-rechts, links-rechts, geradeaus (nicht sooooo geradeaus), Berg runter, umlegen, Berg rauf, über die Kuppe, rechts-links, etwas vorwärts, dann reeeeeechts, vorwärts, Schikane, vorwärts, liiiiiiinks und vorwääääääääääääääärts. Halten, halten (Huch!), 250, bremsen, lösen und eng Berg rauf.

Dieser Hinterreifen ging vorwärts. Und er trug mich stabil durch jede Kurve, vor allem durch die langgezogenen. "Ich muss ihn warmhalten", schwebte in meinem Kopf, und ich drehte rechts, was ich konnte. Die Zeiten bewegten sich langsam in Richtung 2:20, wie ich später sah, völlig im Einklang mit dem Fahrgefühl.

Irgendwann nahm ich aus den Augewinkeln wahr. dass sich der Bremshebel mitdrehte. Das sollte so definitiv nicht. "Scheiße" schoss es mir durch den Kopf. Ich war gerade auf die Zielgerade eingebogen, war mir nicht bewusst über die möglichen mechanisch-physischen Folgen, und nutzte spontan nach gehobener Hand die Ausfahrt zur Strecke, um mich vorsichtig aus dem Weg zu räumen. Unser Henning. Was hatte der da schon wieder gebaut. Man konnte den ganzen rechten Stummel drehen. :shock:

Nachdem mir die freundliche Ausfahrtswärterin geholfen hatte, das gelbe Gerät aus dem Weg durch eine Ausfahrt zu schieben, stellte ich es vor dem Fahrstuhlgebäude ab und stiefelte zum Anhänger, der ganz auf der anderen Seite des Fahrelagers stand. I was not amused. Das mit dem Restaurant musste wohl noch einmal revidiert werden. War das Sabotage, oder was? Immer, wenn es gut lief, klemmte, was, klöterte rum oder duschte mich mit Sprit. Hatte das alles doch System?!?
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Henning #17 »

campari hat geschrieben: Freitag 6. September 2024, 11:52
Unser Henning. Was hatte der da schon wieder gebaut. Man konnte den ganzen rechten Stummel drehen. :shock:
Renthal GEN3, um der Rennfahrerin möglichst geringes Offset zu ermöglichen. Die Vorgabe von 30Nm war nicht ausreichend :shock: , habe dann Loctite dazugegeben.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Henning sah mich an wie ein Auto. "Was ist denn, was kaputt?" Ich. "Ja." "Was denn?" "Das wirst du gleich sehen., ist ganz was Lustiges" "Wo steht denn das Moped?" Ich sagte: "Hinten an der Ausfahrtskontrolle." Es folgten große Augen und der Satz: "Glaub bloß nicht, dass ich das da zu Fuß weghole."

Ich hatte sowas von keine Lust auf Henningdiskussionen, vor allem nicht jetzt. Ich sah zu, dass ich meine Klamotten ausbekam und schickte mich an. das gelbe Gerät zu holen.

Natürlich konnte ich damit nicht mehr fahren. Wer weiß, was mir drohte. Und wer weiß, woher das kam. Tief unter meinem Frust blitzte kurz "Lenkerspanngurte" durch, was mir aber auch in diesem Moment völlig egal war. Als ich den lockeren Stummel so fest wie möglich hielt, um gezielt zu schieben, fragte ich mich, ob ich nicht doch besser hätte fahren sollen. Ich hatte mich zwar auf das Moto-Schwitzodrom-Mugello vorbereitet, war so oft es ging zur Mittagszeit bei über 25°C Laufen gegangen, aber die Schieberei ging an die Kondition. Japsend hörte ich dem leicht schleifenden Vorderrad zu, wie es sich drehte und versuchte, im Schatten zu bleiben, so gut es ging.

Herr Nachbar wurde auf mich aufmerksam und fragte "Was hast du denn da?" Ich zeigte auf den rechten Stummel und sagte "Ist lose, das find ich nicht so lustig." Er rollte mit den Augen. Und drehte das Ding beherzt wieder fest.

Ich wusste nicht so recht, ob ich dem Braten trauen konnte. Zum Glück hatte ich lange genug Pause, und unser Henning auch. Wir würden das schon klären.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Zumindest der Reifen hatte mich nicht im Stich gelassen. Dieser Power Performance Slick sah endlich wieder aus, wie ein Reifen aussehen sollte. Von Aufreißen keine Spur. So viel schöner als der Schmierseifen-V02. Ich musste rechts drehen - ich drehte. Bis zu dem Punkt, dass der Stummel sich mitdrehte.

Power Performance Rear Medium Mugello.jpg
Und das Gute an dem 200, um den mein Capit Full Vision Dingensda überhaupt nicht mehr ranpassen wollte, war dies: Wenn ich wegen der Hitze 200er brauchte, brauchte ich keine Reifenwärmer, die rundrum gingen. Alles fein.

Es wollte mir trotzdem nicht in den Kopf, warum der Softie nicht performen wollte. Ich hatte doch alles, alles gemacht, was Wolle geraten hatte. Ein Mysterium. Eigentlich war es egal, aber es beschäftigte mich so sehr, dass ich später noch durchs Fahrerlager wandelte, um andere Leute mit V02s zu suchen, und mir deren Feedback zu holen. Die Reaktionen gingen von "uh, in soft?" (und dann entsetzte Augen von einem Italiener mit einer R6, wenn ich recht erinnere) bis zu "der ist gut, kein Problem".

An dieser Stelle noch Schöne Liebe Grüße an den Kumpel vom "Berliner mit der RSV4". Ich weiß, wie man sich Infos zu Luftdrücken einholt, wie man das misst und wie man das einstellt. Und ich bin auch nicht beratungsresistent, weswegen ich aktiv Beratung suche. Vor allem, bevor ich ein Problem erneut treffe. Wenn ich jemanden mit demselben Reifen suche, um mir den mal anzusehen, erwarte ich keinen Vortrag zu diesen Umständen.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, rechts zu drehen und nicht so viel zu ziehen, vor allem hinter der Kuppe, wo ich meinen "Huch-Moment" meterweise nach hinten verschob. Und doch immer wieder herausfinden musste, dass ich noch soooo viel Platz hatte, um abzubiegen.

Ich knackte endlich die 2:20. Nicht ganz schlecht.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Black Jack »

Ist das geil, wenn es läuft...
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Mugello war eine harte Nuss. Eine Streckenbreite ähnlich einem Flugplatz mit reichlich Optionen für alternative Linien. Und wir hatten viel zu wenig Leute auf der Strecke, dass man sich mal hätte was abschauen können. Durch meine Unterperformanz am ersten Tag war ich in die Restegruppe gerutscht, da aber ganz nah am Podest. Es gab niemanden, der mir helfen konnte.

Und was ich nicht alles vorgehabt hatte, um mich vorzubereiten. Ich wollte Streckenpläne studieren und Videos schauen. Dieser Hobelsberger, der mir mit Lehrmaterial für Portimao auch auf die Sprünge geholfen hatte, musste doch auch in der Toskana unterwegs gewesen sein.

Was daraus wurde, war nicht viel - außer dem Gedanken daran. Einmal falsch eingebogen, einmal zur falschen Zeit gezuckt, die Runde war im Eimer. Dafür brauchte ich kein blaues, rotes oder grünes Licht. Ich konnte meine Inkompetenz später bestätigen lassen. Wenn ich denn mal Rundenzeiten ansah. Insgeheim beneidete ich die mit fern von 150PS ausgestatteten Fahrer (Fahrerinnen gab es nicht so viele). Die konnten sich jeden Scheiß erlauben, vor allem den Berg hoch. Einmal am Quirl drehen brachte so viel wieder in Ordnung.

Ohne die richtige Linie war bei mir nichts in Ordnung. Am Ende von Tag zwei wusste ich, dass ich ohne fremde Hilfe nicht mehr viel tun konnte. Hier noch ein wenig am Einlenken feilen, dort am Bremsen - ach, warte. Ich bremste doch gar nicht. Mein Gabelbinder zeigte locker vier Zentimeter Luft an. Bei einer normalen Runde Oschersleben sah man etwa zwei.

Ich bremste nicht.

Spät und heftig bremsen machte einfach keinen Spaß. Es mochten sich andere daran erfreuen, für mich bedeutete das Stress, den ich unbedingt vermeiden wollte. Also konzentrierte ich mich lieber auf das andere Ende der Kurven, drehte früh und stetig rechts am Griff. Das ging soger so weit, dass man mir nachsagte, ich sei "hart am Gas". Meine Variante der Geschichte war, dass ich so langsam in den Kurven war, dass es umso schneller aussah, wenn ich normal wieder rausfuhr. Und um nicht noch langsamer in die Kurven zu fahren, bemühte ich mich vorher eben nicht aktiv wie blöd abzubremsen, sondern eher sanft reinzurollen - in der Hoffnung, irgendwie Geschwindigkeit in die Kurve mitzunehmen.

Bremsen kam immer erst dann dran, wenn ich das Gefühl hatte, eine komplette Runde im Griff zu haben.

Ich hatte hier keine Runde im Griff. Zu viele Optionen für alternative Linien, zu viele Unsicherherheiten an den falschen Stellen. Bremsen war definitiv nicht angesagt.

Trotzdem hatte ich den ganzen Tag versucht, am Ende der Geraden später zu entschleunigen. Mit dem sechsten Gang auf vollem Quirl rauschte ich über die Kuppe und genoss den Wind, der für einige Zeit ein Gefühl von Abkühlung erzeugte. Aus einem "Huch!!!" wurde irgendwann ein "Huch." Ich hatte heute den Gasgriff bis über die Kuppe voll aufgedreht gelassen. Und ich hatte es geschafft, erst in Richtung 150m in die Bremse zu greifen. Irgendwo dazwischen, ich zwang mich, dass erst bei der 200 geschehen zu lassen, drehte ich den Griff nach vorn. Ein Teil der abgeknapsten Sekunden gingen wohl darauf zurück. Der Rest war dem Reifen zuzuschreiben. Ich wusste noch nie so gut, dass der Reifen keine Hitzeprobleme bekommen würde. Ich konnte mich darauf voll verlassen. Nicht nur, dass es Hitzetoleranz gab, es gab sogar einen Heißhaltezwang. Ich hoffte, dass er morgen auch noch hielt. Ich brauchte diese Pelle.

Nur war es für mich umso schwieriger, diese ganzen Wechsel von links auf rechts und die für die Geschwindigkeiten relativ engen Kurvenradien körperlich in den Griff zu bekommen. Mugello war an sich schon nichts für Faule, und ich merkte, was ich alles nicht trainiert hatte. Mein letzter Termin war mehr als einen Monat her. Und Mopedfahren trainiert sich bei mir nur durch Mopedfahren.

Vermutlich waren schon etliche Leute an Mugello verzweifelt, es war hier keine Schande, sich einzugestehen, dass man allein nicht weiterkam. Eigentlich war es das nie. Ich wünschte mir tief drinnen so sehr, dass über Nacht die Eingebung kam, und ich morgen vielleicht ein bißchen schneller langsam fahren würde.

Aber jetzt wünschte ich mir, dass das Restaurant, was der Henning ausgesucht hatte, uns ordentlich verköstigen würde. In der Altstadt, da wo Leute schick hingehen, da sollte es gutes Essen geben. Ich warf mir meinen liebevoll "Kettenhemd" genannten Umhang-Schal über, der in Sekunden aus jedem Schnuffeloutfit ein schniekes Kostüm machte. Darunter saß ein Top mit einer bunten 46. Konnte ja nicht schaden.

Die Kellnerin im Il Torrione war genau so fantastisch wie das Essen. Und sie freute sich wie eine Schneekönigin, dass ich sie ernst ansah, als sie versuchte auf Englisch Ragu zu erklären "it is a Bolognese Sauce", "Non si chiama Bolognese", fiel ich ihr ins Wort und bestellte für den Jungen Taglliatelle al Ragu. Das Tagliata di Manzo war ein Traum und der Rucola-Parmesan-Salat ebenfalls. Lea verliebte sich in Ravioli.
Neben uns saß ein Brite mit Frau. Die stand irgendwann auf und schwärmte mir lautstark ins Ohr, wie gorgeous doch mein Kettenhemd sei, und sie würde sich den doch selbst knitten, wenn sie nur passenden thread hätte. Manmanman, wie dezent. Ich verwies sie an Barcelona, wo ich das Dingen herhatte und war irgendwie geschmeichelt.

Bevor wir gingen, fragte die Kassiererin, wo wir denn "hier" wohnen würden - wir hatte wohl einen ausreichend integrierten Eindruck gemacht. Ich zeigte auf das Luftbild hinter ihr und sagte "here". Sie schaute mich fragend an. "Circuito Mugello", sagte ich. Endlich verstand sie und lachte.

An diesem Abend ergab wieder alles einen Sinn.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Tag 3 fing an, wie Tag 2 aufgehört hatte: die Sonne schien. Sie schien so schön, dass es fast nicht auszuhalten war. Unser Schlafgemach hatten wir über Nacht, soweit es ging, geöffnet. Es war irgendwie egal, ob man nicht schlafen konnte, weil es zu hell war, oder weil es zu warm war. Gegen sechs Uhr morgens waren die Temperaturen noch angenehm, auf dem Weg zur Wellnessoase fröstelte ich sogar leicht. Zumindest glaubte ich, das zu spüren, denn meine Muskeln waren damit beschäftigt, Überanstrengungssignale zu senden. Das rechte Bein forderte, Barrierefreiheit zu wahren, und der obere Rücken erinnerte mich daran, dass Umlegen mit einem 200er nochmal deutlich mehr Arbeit war als sonst. Diese ungewohnt hohen Geschwindigkeiten hatten Konsequenzen. Außer an der Bremse. Ich brauchte weder neue Beläge, noch musste sich etwas an der Gabel ändern. Während ich das gelbe Gerät minimalaufwärmte, freute ich mich darüber, dass der Kaffee in meinem Becher so gar nicht daran dachte, kalt zu werden. Und mein liebster Reifen brauchte auch nicht lange für seine 90°C.

Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich hier keine Wunder erwarten durfte. Dafür brauchte ich vermutlich keine reine Trainingsveranstaltung, sondern eine mit Betreuung. Wenn es hier schon nichts mit dem persönlichen Rekord werden sollte, überlegte ich, sollte es doch als Training für Most gut sein. Ich wollte sowieso nichts riskieren, zu wichtig war, dass der Reiseplan, ja sogar der ganze durchgetaktete August, gutging. Es war mal wieder Schönfahren angesagt.

Aber ein bisschen schnell sollte es bitte auch sein. Turn 1 fühlte sich sogar fast kühl an. Eine Wundermaschine, so ein Körper - wie schnell ich mich an Temperaturen gewöhnte, war faszinierend. Generell konnte ich zufrieden sein, denn bis auf wenige technische Ungereimtheiten - einen Lenkerstummel zum Beispiel, oder einen ungeeigneten Reifen - hatte ich alles an Fahrzeit genutzt, was ich konnte. Diese Wetter sollte mir nicht die Veranstaltung versauen.

Leider konnte ich es nicht lassen, nachzusehen, wie schnell ich gefahren war - siehe da: ich hatte an meiner letzten Bestzeit gekratzt. Und zack, war sie wieder da, diese Ambition. Wir wollten doch nicht nur so schnell unterwegs sein wie beim letzten Mal, wir wollten doch schneller sein. Das betraf ja nicht nur mich, sondern auch unseren Henning, der sich damit aber vor, während und direkt nach seinem Turn beschäftigte und das wie gewohnt sofort in die entsprechende Laune übersetzte.

Was hatte ich denn heute besser gemacht als gestern?!? Vielleicht war es einfach nur der Wind am Bergabstück, der anders wehte und nicht so viel an mir herumzerrte, aber es war sehr wahrscheinlich, dass mir dieser Teil der Strecke besser gelang. Ich konzentrierte mich darauf, dort weniger und weniger Schwung zu vernichten und mehr und mehr davon den Berg hoch mitzunehmen.

Das Stück vor der nächsten rechts wurde auf einmal so kurz, dass ich am Ende fast die Kurve verpasst hätte. "Rum, rum, rum!", befahl ich, bremste entsprechend - und bog ab. Das war auf jeden Fall zu spät gebremst, bitte merken!

Während die Sonne weiter alles erhitzte, was sich ihr nicht entziehen konnte, versuchte ich weiter, Kurven optimal zu verbinden. Wenn ich hier schon inkompetent war, dann doch bitte auf einem sehr professionellen Level...Turn 3 brachte endlich den Durchbruch: 2:16,632

Dann gab es die Mittagspause. Und wie gewohnt ein Handtuch auf dem Kopf und Wasserkühlung an wechselnden Körperteilen. Nur eine Gardenadusche, die gab es nicht mehr. Die Nachbarn hatten gepackt. Des Sohnes BMW wollte nicht mehr, und der Vater durfte den Platz nicht übernehmen, weil das eine neue, und wie ich finde, gute Regel war, Leute nicht mitten in der Veranstaltung neu starten zu lassen. In diesem Fall: besonders schade für die Nachbarn. Dass Gardena schon auf Reisen ging, war nicht so schlimm.

Auch wir mussten vielleicht packen. Wir mussten eventuell noch aus dem Fahrerlager raus. Es hatten einige gefragt, aber es ab noch keine offizielle Info. Wo wir hinsollten, keine Ahnung. Wir hatten uns darauf verlassen, über Nacht bleiben zu können.

Das war erst heute Abend wichtig. Jetzt zählte, während der verbliebenen 3 Turns keinen Fehler zu machen.
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