
Bescheidenheit ist eine gute Tugend.....
Part VI: Aufzünden in Reinform
Nach einer kleinen Regenerationsphase erfuhr ich, dass bei Hajo der Höcker verreckt war und er ihn mit seiner hässlichen grünen Jeans repariert hatte. Ich dachte erst an einen kleinen Scherz unter Aufzündern, aber es war bitterer Ernst.
Ich kam auf die Idee, mal auf dem Monitor zu schauen, wo wir so liegen. Vor der Startnummer 34 sah ich eine 6 und war sehr zufrieden. Ein Traum wenn wir so einlaufen würden nach den 6 Stunden.
Ich ging nach 40 Minuten wieder an die Boxenmauer - diesmal hatte ich den Helm auf und die Handschuhe an. Hajo hatte anscheinend diesmal keine Probleme und zog wheelend seine Runden. Nach einer knappen Stunde machte er den Adler. Ich machte die Blade schnell bereit und wartete auf meinen Bruder. Er kam rein - Transponderwechsel - und ab ging es in den 2. Turn. Nach ein paar Runden dann die erste und zum Glück auch letzte Pace-Car-Phase. Ich setzte mich gemütlich auf den Tank - die einzige Stellung in der ich meine Gräten locker baumeln lassen konnte. Was jetzt galt war klar: sich einreihen, nicht überholen, und hinter dem Pacecar hertuckern bis das Blinklicht ausging und es wieder verschwand. In der Theorie ganz einfach, in der Praxis tuckerte in der Triple plötzlich in aller Seelenruhe eine rot-blaue R1 unseres Nachbarteams an mir und meinem Vordermann vorbei.
„HEY ARSCHENPILLEMANNSAUSACKVOLLTROTTEL!!! WAS SOLL DAS DENN BITTE WERDEN?????“ schrie ich ihm entgegen. Er winkte ab und schien sein Verhalten völlig normal zu finden. „Wären Sie bitte so freundlich und würden sich bitte wieder auf Ihren Platz begeben?“ war nicht genau das was ich zu ihm gesagt habe....
Naja, irgendwann war er dann wieder hinter mir. Wenn er ein Mann war dann würde er mich mit Respekt im Rennen überholen, nicht während ich wie ein Klammeraffe auf dem Tank sitze und hinter einem Auto herzottle.
Das tat er dann auch, aber schwuchtellike auf der Geraden.
Die R1 ging bestialisch, aber außer auf den Geraden nahm er mir nirgends was ab. Ich sah dass er eine ähnliche Linie fuhr, nur den Rasengittersteintrick nach der Triple hatte er noch nicht drauf, so dass ich ihm da 3 Runden lang jedes Mal fast im Enttopf steckte.
Der Rest des Turns verlief ohne weitere Vorkommnisse, ganz normales wheel`n`fun-ridin.
Nach einer Stunde ging es wieder raus. Ich erfuhr, dass wir vor dem Wechsel auf dem 5.Gesamtrang gelegen hatten. Uff, unglaubliche Sache das....
Hajo liess in seinem 3. Turn nix anbrennen und kam planmäßig wieder rein. Als ich aus der Boxengasse fuhr standen noch genau 1:40 Stunden auf der Uhr. Ich wusste nicht wie es Hajo ging, vermutete aber dass er ziemlich kaputt sein würde, hatte er doch am Wochenende davor in Most noch große Probleme mit seiner Gashand gehabt.
So beschloss ich, möglichst lange draußen zu bleiben. Ich hatte nicht mehr ganz voll getankt, somit tippte ich auf ca. 50 Minuten bis die Spritleuchte aufblitzen würde. Das sollte doch reichen...
Ich fühlte mich in meinem (hoffentlich) letzten Turn erstaunlich gut, fast besser als im Ersten. Ich glaube irgendwann verdrängt man die Schmerzen und zündet einfach nur noch auf.
Mittlerweile war es 20 Uhr, und mein getöntes Visier stellte sich als alberne Entscheidung heraus. Gegen Ende des Turns sah ich immer weniger, und ich war froh als nach exakt 50 Minuten die Spritleuchte anging. Ich fuhr noch 2 Runden, gab das Zeichen und fuhr raus.
Ich erschrak ein wenig als ich sah, dass Hajo auch noch sein cooles getöntes Visier drauf hatte. Naja, vielleicht war es besser wenn man seine ausgezehrte Hackfresse nicht gleich erkennen würde. Bremsenix und die anderen Helferlein berichteten, Hajo habe in der Pause ausgesehen wie eine Mischung aus Heino, Michael Jackson und dem Zombie, der einst am Glockenseil hing. Ich machte mir ein paar Sorgen, zumal es immer dunkler wurde und er jetzt gar nicht mehr viel sehen KONNTE.
20 Minuten vor Schluss, Hajo wurde immer langsamer (na ja, er war ja fast blind...), überholte ihn Rainer Düssel. Nicht wissend dass dieser immer noch eine Runde hinter uns lag (wir waren mittlerweile auf GESAMTRANG 4!!!), nahm Hajo die Verfolgung auf - man konnte das Adrenalin immer riechen wenn er auf Start/Ziel im Windschatten von Herrn Düssel vorbeizündete. Ich zeigte ihm jedes Mal das „Fahr-langsamer-Pillemann!“-Zeichen, aber natürlich sah er auch das nicht.
Die letzten Minuten waren eine Qual. Ich betete 45 Uffzynd-Unser und lud sicherheitshalber meine Beretta mit echten Silberkugeln, nur für den Fall dass der Antizünd nochmal auftauchen sollte, aber er kam nicht.
Um 21.00 Uhr schwenkte der beste Rennleiter der Neuzeit, Ottmar Bange, die karierte Flagge für all die redlichen Aufzünder draußen auf der Strecke, und auch für die, die in der Boxengasse fast vor Aufregung starben.
Alles stand auf der Boxenmauer und jubelte den Jungs und Mädels zu. Als Hajo über die Ziellinie flog hatte ich eine Gänsehaut und musste mir 1-3 Tränen verdrücken. Wow, wir waren tatsächlich 4. geworden, und sogar 3. in der offenen Endurance-Klasse!
Zur Krönung des Spektakels wurden die Fahrer am Eingang der Boxengasse angehalten und mit Sekt empfangen. Alle Helfer und Fahrer fielen einander um den Hals, Fäuste schlugen auf Helme und Kombis, Freude wurde gegeben und geteilt, der wahre Racing-Spirit lag in der Luft -dieser Moment war wirklich einer der Schönsten in meinem Leben!
Ich glaube Hajo war aber noch glücklicher als ich... So viel hab ich ihn noch nie auf einmal reden hören! "Waaaaaaah, ich hab am Ende GAR NIX mehr gesehen! Und die Spritleuchte hat 7 Runden lang geleuchtet! Einmal hab ich in der Triple EISBERGE gesehen!"
Wir gingen langsam und erschöpft zurück in die Box, mischten uns jeweils 1 Korea, und waren einfach nur glücklich....
