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Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von StefanH »

Das Gefühl, ein hochtechnisches Gerät am persönlichen Limit zu bewegen, treibt uns sicherlich alle am meisten an.

Aber das "Leute treffen" ist für sehr viele fast ebenso wichtig, da hast du absolut Recht.

So eine "allerfeinste Box" als temporärer Mikrokosmos gibt einem jedesmal wieder ein gute Dosis Lebensqualität. ;)
Grüße aus der Oberpfalz
moosi
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Die R6 hatte seit Mai einen Ersatzmotor, den mir unser Henning aufgeschwatzt hat (Danke dafür), aber ich habe keinen Sensor. Vielleicht brauche ich das nur eine, wer weiß, ob ich nicht auch noch das andere brauche. Ich schaue nach. Ich rechne. 9350km. So viele Kilometer war ich gefahren, seit mir ein Herr Klein das zurechtgerückt hatte, was der Mechaniker des Grauens verrückt hatte. Da kann man schon einmal einen neuen Motor brauchen. Bei einer BMW oder einer R1 oder einer RSV4 oder - bei einer R6?!?
Der Countdown tickte.
Auf meine ganz vielleicht eventuell-verkaufen-Anzeige meldete sich niemand. Eine einfache verkaufen-Anzeige hätte wohl mehr gezogen. Und der Henning? Der wollte unbedingt, dass ich eine SC82 kaufe, damit er mal damit fahren kann, und verkaufte mir die Idee als "schnelle Lösung". OK, ich sah sie mir an und stellte fest, dass ich wider Ewarten draufpasste. Aber das war nicht mein Ding, das Ding. Zumal die Lösung auch nicht schneller gewesen wäre ohne Schalt-rauf-runter-Funktion. Alle meine Telefonjoker verstanden auch nicht, was das gesollt hätte. Ich verstand es am allerwenigsten.
Nächste Woche war ein Meeting in Lodz, dann musste ich unbedingt bestimmt schon irgendwelche Angebote fertig machen, aber zumindest irgendwas budgetieren, planen und reportieren. Und dann war dieser Termin in Misano. Ohne allerfeinste Box, dafür aber mit Henning. Das versprach permanente gute Stimmung, so richtig Urlaub. Dazu kam, dass mein Herr Vater, der bei sowas immer auf die Kindschaft aufpassen musste. Schon sehr klapprig geworden war und vor Schmerzen kaum laufen konnte. Und dass er vermutlich gar nicht wusste, dass man ihm mal wieder was aufs Auge gedrückt hatte. Ich war ziemlich sicher, den Termin nicht wahrnehmen zu können.

Ich hatte wirklich viel Interesse, nicht nach Italien fahren zu müssen. Aus Gründen.

Andererseits: Da war ein Motor, einen Sensor konnte man besorgen, und ich wollte wissen, ob ich vibrationsparanoid war und mir das alles nur eingebildet hatte - also bat ich den Mechaniker des Hauses das mit dem Motortausch anzugehen. Vor einigen Tagen habe ich durch die Wohnzimmerwand aus der Garage Lebenszeichen gehört. Und ich hoffe, dass auch ein neuer Sensor dran ist. Interesse an dem Misano-Termin hatte ich immer noch nicht, musste jetzt aber die Dienstleistung irgendwie vergüten.
Dann fahr ich halt alles hin. Und dann fahr ich halt einen Motor ein, obwohl ich keine Ahnung habe, wie das geht. Fällt man da nicht wieder hin, weil Reifen kalt werden?!?

Jetzt habe ich nach dem letzten Telefonat um halb sieben Abendessen gemacht, danach eine Quarkspeise angesetzt, während die Tomatensoße für Sonntag einreduzierte. Vorkochen, damit der Opa nicht so viel zu tun hat. Ich habe noch nichts gepackt und auch kein Kind gekuschelt. Ich muss auch noch eine Liste "unbedingt Aufessen" anfertigen. Die Wäsche war gücklicherweise heute doch noch trocken und ist eingeräumt, aber tut das wirklich Not? Die eine Stunde Internetvollschreiben setzte ich mal als Psychotherapie an, das ist wichtig. Aber sonst? Ich bin sicher, man kann seine Tage auch einfacher verbringen.

Das ist definitiv meine letzte Saison. Die letzte, in der es für mich so anstrengend wird, wie es bisher gewesen ist. Ich kann das einfach nicht mehr leisten. Und die Kindschaft hat auch nicht mehr sehr viel davon, Ferientage in Fahrerlagern rumzuhängen. Das Konzept geht leider nicht mehr auf.
:horseshit:

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Beitrag von JanR1 »

...so schön geschrieben!!!..ohne euch würde was in Assen fehlen!!
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

"Haaha, du bist doch nicht ernsthaft für ne 2:03 nach Misano gefahren?", das Lachen am anderen Endgerät gehörte zu unserem Sascha, der sich, zumeist um mein Wohlergehen bemüht, immer wieder Zeit für mich nahm. "Ich fand 2:03 gar nicht so schlecht", warf ich zurück "Wer fährt denn da 2:03?" "2:03 fahren da verdammt viele, vor allem am ersten Tag!" Das Lachen hörte nicht auf. "Kann ich doch nichts dafür, es war doch eigentlich mein erster Tag!", verfiel ich wie so oft in den Rechtfertigungsmodus.

In erster Linie hatte unser Sascha recht. Ich war für eine 2:03 nach Misano gefahren. Darüber war ich auch noch froh. Und das, obwohl ich eigentlich in Richtung der 1:50 wollte.

Die R6 hatte einen neuen Motor. Ich hatte klargestellt, dass ich kein anderes Motorrad für mich in Betracht ziehe und dass ich ebenso keine an die 20000 Euro für irgendwas ausgeben würde, wenn ich doch mit dem, was ich hatte, so gut zurechtkam. Mehrere Tage Arbeit hatte unser Henning damit zugebracht, Schauben zu lösen, Flaschenzug zu betätigen und Schrauben wieder festzuziehen. Und dafür war es meine Gegenleistung, das ganze Gerümpel an die Adria zu schleppen - hatte sich mein Gewissen entschlossen. Mein klappriger Herr Vater hatte sich aufgrunddessen bereiterklärt, ein paar Tage Treppensteigen auszuhalten. Und die Kindschaft, die hatte keine Wahl.

Am 27.9. gegen sieben Uhr am Morgen hatte ich den Anhänger an den Skoda gebastelt. Ganz ruhig, ganz leise und ohne das Bedürfnis irgendwen anmotzen zu müssen. Es ging also doch. Man konnte einen Anhänger an eine Anhängerkupplung bekommen, ohne dabei ausfallend zu werden. Mein Tag hatte um kurz vor sechs angefangen, langsam hatte ich vor mich hin gepackt, Kaffee gemacht und getrunken, während alle noch schliefen. Als mein Wecker klingelte, war ich die einzige, die aufgestanden war. Als unser Henning endlich abfahrbereit war, standen Auto und Anhänger in Fluchtrichtung vor dem Haus. Der kleine Jan stand auch vor dem Haus. Beziehungsweise schlurfte nervös auf und ab. Lea war noch nicht einmal aufgestanden. Der Opa war noch nicht da, und Jan machte sich Sorgen, dass der Opa nicht käme. Nicht besonders überraschend hatte derjenige, der als letztes aufgestanden war, es jetzt am eiligsten. Und während Jan etwas besorgt in meine Richtung blickte, durfte ich mal wieder diskutieren. Darum, dass man kleine Kinder nicht alleine lässt, wenn ihnen das Sorgen bereitet. Mit einem festen Blick tief in die Augen konnte ich Jan auf die 10 Minuten herunterhandeln, die er zu warten hatte, bis der Opa da sein würde. Ich war erleichtert, als ich dem Opa noch persönlich einen guten Morgen wünschen konnte, knapp nachdem ich angehalten hatte, um den rechten Außenspiegel noch besser einzustellen.

Nach 900 km weitestgehend ruhiger Fahrt bei freundlichem Autofahrwetter saß ich in einem Zimmer vom Dannerwirt und sah aus dem Fenster. Abermals hatte man mich beim Einparken auf dem engen Parkplatz (zum Busparkplatz wollte niemand - war zu weit), was ich noch nicht so ganz gut kann, angemotzt und hatte mir erklärt, wie die Welt zu funktionieren hatte. Wie konnten bloß andere Menschen ohne den Motzkick überleben? Ich brauchte das jedenfalls nicht und hatte entschieden, mich nicht mehr daran zu beteiligen. Ich saß also auf diesem wunderschönen Bett und sah aus dem Fenster. Nicht nur der Ausblick, sondern alles hier war ein Déjà Vu. Das Einparken, das "deine Tasche kann ja auf den Stuhl" und der ganze Rest. Auch das Abendessen im Restaurant mit wirklich guter Küche war wie erwartet famos. Für Paare wäre es eine romantische Hotelübernachtung mit Abendessen. Ich war nicht deswegen hier. Ich war hier, um einen Termin in Misano stattfinden zu lassen, den ich noch nicht lange vorher gern abgesagt hätte. Aber jetzt hatte ich diesen neuen Motor. Und den konnte man genau so gut in Misano einfahren. Mein Schlaf war den Umständen entsprechend. Es half auch nicht besonders, dass jede (!) Stunde und alle 15 Minuten die Kirchglocken läuteten.

Nach dem wiederum sehr guten Frühstück half ich dem Henning ausparken. Es lief wie erwartet. Wir hatten noch knapp 700km zu fahren, und ich fragte mich, ob da überhaupt noch Freundlichkeiten für den Abend übrig waren. Pflichtbewusstsein war nicht immer gut. Gegen 18 Uhr erreichte ich mit meinem Fahrgefährt und Fahrgefährten Misano. Einfahrt war noch lange nicht, und ich parkte alles dort, wo es nicht im Weg stand. Immer wieder kamen Einfahrtswillige und versuchten, die Schranke hochzuparken, mussten aber wieder umdrehen. Irgendwann drehte man gar nicht mehr um. Die Schranke ging trotzdem nicht hoch, und der Verkehr staute sich komplett. Anwohner fuhren rückwärts oder, wenn das Auto klein war, über den Fußweg und Zebrastreifen. Henning hatte Hunger und holte zwei Pizze von Bianca, mir eine Calzone, mit dem Fahrrad. Ich hatte eigentlich nicht viel Hunger, diese Calzone war aber sooo lecker, dass ich aufessen musste. Es war gut, einen hungrigen Mann mit Fahrrad dabei zu haben. Der fuhr schon wieder durch die Gegend, während ich mit Kopfweh und Schlafbedürfnis hin- und herging. Andere hatten schon einen Handtuchpavillon reingetragen und aufgebaut. Henning wollte sein Handtuchfahrrad irgendwo hinlegen. Das einzige, was ich hinlegen wollte, war ich. Mehr als 1500km in zwei Tagen zu fahren, war machbar, aber leicht absurd. Ich hatte immer noch Kopfweh, aber was sich dazugesellt hatte, war das Brennen in der Kaiserschnittnarbe, welches seit über zehn Jahren zuverlässig Regenwetter ankündigte. Und zusätzlich Wetterumschwünge, die es in sich hatten. Am dritten Tag sollte es regnen, und obwohl ich "vielleicht zieht es ja vorbei" sagte, wusste ich sicher, dass das nicht passieren würde.

Als die Schranke hochging, schien es, als hätten alle anderen auch so eine eingebaute Wetterstation. Man durfte keine Zeit verlieren bei nur zwei Tagen Fahrzeit. Ruhig und bestimmt schob ich Auto mit Anhänger durch die anderen. Im Vergleich zu dem Chaos Rimini-Ravenna in 2023 war das hier Kindergeburtstag. Einfach langsam weiter vorwärts rollen. Nach nicht einmal 5 Minuten stand ich beim Handtuchfahrrad. Kein schlechter Parkplatz. Und völlig ohne Fahrerlager-Einfahrpanik. Zumindest nicht bei mir.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Bei der Anmeldung warteten ein relativ müder Robert und eine blonde Dame, die mir vorher noch nicht aufgefallen war. Nachdem alle Teilnehmer verstanden hatten, dass die Papiere wirklich ausgefüllt werden mussten und dass man wirklich heute Abend nicht die Gruppe wechseln konnte und wirklich erst der Transponder angebaut werden musste und der Aufkleber aufgeklebt, war endlich auch ich an der Reihe. Andrea und Robert ohne Spaß, das geht nicht - also beglückwünschte ich ihn, dass man endlich von meinem Geld ein paar neue Transponder in Orange gekauft hat - und schob dabei die Transpondermiete über den Tisch. Nur kurz hatte ich mich gewundert, dass man mich trotz der expliziten Ankündigung, einen Motor einfahren zu müssen, in die zweitschnellste Gruppe gesteckt hatte. Kann ja nicht immer alles funktionieren.

Ich war satt, ich hatte meinen TC-Sticker und sogar noch ein Rennen gegen eine R1 gewonnen. Ein netter junger Mann mit einem Schweizer Transporter aber relativ Berlin-brandenburgischem Akzent hatte sein Moped auch geschoben. Wozu denn für 100 Meter den Motor anmachen. Ich hatte nach der Calzone noch richtig Sport gemacht, so japsend wie ich am Anhänger ankam. Das hatte ich mir wohl verdient. Der Hallo-Wach-Effekt hielt nicht lange vor. Die Sonne war untergegangen und Mutti müde.

"Au", entfuhr es mir, als ich versuchte, mich über die Arbeitsplatte mit dem Fuß hochdrückend ins obere Bett zu befördern. Ich hatte Knie. Und das eigentlich schon seit Assen. Unpassenderweise war es das rechte, und oh, aber ja, Misano war ein ziemlicher Rechtskurs. "Aua!!!" Der Weg aus dem Bett wieder herunter war nicht besser. Ich hatte das verdammte Thyroxin vergessen und musste nochmal an mein Gepäck. Schnell war klar, das das nicht gehen würde mit mir und der oberen Etage. Als das untere Bett aufgebaut war, war das eine Erleichterung. Seit Anfang 2025 konnte man immer ein unteres Bett aufbauen, denn es war alles dabei. Ich hatte mich endlich durchsetzen können damit, dass die beknackte Konstruktion von Knaus seinem Klaus (oder wie der Erfinder dieses Anhängers auch immer geheißen hat) optimiert wurde. Wir hatten jetzt ein zweites Ansteckbrett und die passenden Holzfüße immer dabei. Zur Not konnte man darauf auch sitzen. Ein fast 140cm breites Bett ohne Geturne nur für mich alleine. Das hatte ich zuletzt in Cartagena, nachdem ich mir eine Verletzung am Ellenbogen habe nähen lassen müssen. Mit dem kleinen Unterschied, dass da nur zwei Matratzen auf dem Anhängerboden lagen.

Kein Schnuffeln, niemand, der mir entweder mein Kuschelpferd klaute oder mir Füße ins Gesicht steckte oder erst das eine, dann das andere - was konnte da schiefgehen?

Eine ganze Menge. Es wäre möglich, dass der Motor doch nicht so tat, wie er sollte. Und wer wusste denn, was sonst noch alles auf mich wartete.
:horseshit:

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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Guten Morgen, guten Morgen, ja, wo ist denn der italienische Tenor? Hat wohl jemand abbestellt. Ich war drauf und dran mit nicht einmal zwei Teelöffeln "den ganzen Rest" im Instant-Kaffee-Glas zu verbrauchen, was noch zu 1/4 gefüllt war. Wow. Mein Kaffeeverbrauch war wirklich gingantisch - jeden Tag maximal 3 Becher mit maximal zwei Teelöffeln (Bodenseh-Kaffee). Wie ich damit in Oschersleben das ganze Glas geleert hatte, war mir unerklärlich. Zumal das Glas schon relativ lang im Schrank stand. Aber ja, ich hatte das definitiv alles aufgebraucht und nicht für Ersatz gesorgt. Lieber hätte ich mir etwas vom italienischen Tenor singen lassen. Was wollte ich bloß hier?

Motor einfahren. Und mich dafür dankbar zeigen, dass ich das überhaupt in Angriff nehmen konnte.

Aber jetzt? Jetzt ergriff ich die Flucht, mit einem kleinen Campingstuhl bewaffnet, und zog ab in Richtung Fahrerbesprechung. Sicher zu früh - aber überall war es schöner als in einer morgendlichen Kaffeeverbrauchsdiskussion. Also schnappte ich mir einen Streckenplan und setzte mich in die Sonne.
Aus der Sonne wurde bald Schatten, Beine schoben sich immer näher. Und dann kam die längste Besprechung, die ich seit langem hatte.

Das neue Aggregat wollte behutsam erwärmt werden, und ich hatte aufsteigende Unruhe. Als ich zurück zum Anhänger lief, hallte es noch nach "don't bring your own coffee to Italy". Der nächste Kaffee in meinem Becher käme definitiv von dem Shop im Paddock.

Mittlerweile hatte Nummer zwei der Capit-Super-Duper-programmierbaren Wärmer aufgegeben. Beziehungsweise war kurz davor, abzukokeln. Überlappung ist schön, aber zuviel davon zeigte sich an der Oberseite als kleines Loch. Der Henning hatte davorgestanden und daran herumgezuppelt. "Du musst das mal ordentlich auseinanderziehen", insistierte ich, denn mit den ganzen Falten war schwer zu sehen, wie groß der Schaden war. Sodann wurde hochgezogen. Wow. Auf der Innenseite war ein kinderhandflächengroßes Loch. Und man schickte sich an, abermals einen der aussortierten "ich wärme nicht"-Wärmer als Ersatz zu nehmen. Egal wie flexibel freundlich man zu mir war, Blödsinn konnte ich nicht dulden. Ich wies an, dass doch wohl eher ein Wärmer, der wärmt, passen würde und holte meinen alten hinteren Wärmer aus meinem Fach im Anhänger. Und hoppla, auch der hatte unter zuviel Überlappung gelitten, allerdings war das Gewebe erst kürzlich gerissen und nicht durchgeschmolzen abgekokelt.

Was für ein Anfang. Ich hätte gleich den Kaffee an der Bar holen sollen.

Leicht sorgenvoll ob der Gruppeneinteilung und der theoretisch hohen Geschwindigkeiten zuppelte ich noch meine Leuchtweste hervor, um sie übergestülpt zu bekommen, bevor ich auf die Strecke fuhr. Ich wollte als Neon-Verkehrsgelb gemischter Punkt am Horizont zu erkennen sein. Besser ist besser.

Turn 1 überlebte ich, mit dem völlig fremden Gefühl, rechts einfach mal nicht zu drehen. Beziehungsweise nicht so viel, beziehungsweise nicht so stark.

Turn 2 wagte ich mich in den Drehzahlbereich von 8-9k rpm vor. Und mir schien das Halten einer bestimmten Drehzahl nicht so zu liegen. Irgendwie schwankte das hin und her, immer mal 2k weniger oder mehr.

Turn 3 beschäftigte ich mich damit, die Drehzahl etwas, aber nicht viel zu erhöhen. Und immer wieder gab es diese Sprünge. Hatte ich denn so ein wackeliges Handgelenk? War schon wieder ein Drahtseil kurz vorm Bersten?

Mittagspause. Neue Motoren waren komisch, dachte ich. Die Drehzahlschwankungen schob ich auf meine Unfähigkeit, nicht einfach nur stumpf rechts zu drehen, bis offen war.

Mittagspause zuende. Glücklicherweise war ich in der langsameren Gruppe untergekommen, und obwohl ich hart daran zweifelte, hieß es vonseiten Hennings "Du kannst gleich voll fahren, mein Motor hatte auch nur 50km Prüfstand". Eine meiner Augenbrauen ging dabei leicht nach oben. Aber die Gruppe sollte passen, selbst wenn ich nicht alles voll ausfahren würde. Es würde schon weiter in Richtung 2 Minuten gehen.

Die Weste ließ ich weg. Meinen "hier und nicht weiter"-Aufkleber hatte ich auf 14k rpm geklebt. Nur, falls es mir mal durchgehen sollte.

Ich drehte. Und irgendwas zog in die Gegenrichtung. Ich versuchte, zu schalten, nichts passierte. Und dann drehte ich, vorsichtig, aber irgendwas schob mich ungeplant vorwärts. Die Augen wurden immer größer und als die karierte Flagge leuchtete, war klar: da stimmte etwas nicht. Ich hatte kein grobmotorisches Handgelenk, da stimmte etwas nicht.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von stscit04 »

Wird das hier jetzt ein cliffhanger oder wie oder was?
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von Sonnenritter »

stscit04 hat geschrieben: Mittwoch 8. Oktober 2025, 18:17 Wird das hier jetzt ein cliffhanger oder wie oder was?
Ich will nicht spoilern, aber ich meine die Gelbe Rakete auch am zweiten Tag fahren gesehen zu haben.
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

ooooh, "Gelbe Rakete", das gibt Ärger mit Herrn Kruppa, ich darf nur so Sachen wie "Gerät", "R6", "Maschine" und so verwenden, ohne verklagt zu werden
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Re: Von Angst, Ambitionen und Asphaltmalereien - Ein Resümee

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Beitrag von campari »

Ich stellte das Gerät ordnungsgemäß ab, konnte ja sein, dass ich noch fahren wollte. Aber schnell war klar, dass das vermutlich nicht passieren sollte. Ich erklärte noch einmal dem Hausmechaniker, dass da etwas auf der rechten Seite nicht mit rechten Dingen zuging. Und zum ersten Mal, wie ich mich zurückerinnern konnte, musste ich nicht diskutieren. Er drehte auf 5k rpm, Drehzahl sackte. Er drehte wieder hoch, abermals ging es wieder herunter.

"Das kann doch nicht sein." Mehrere Fragezeichen sahen mich erstaunt an.

Sitzbank abschrauben, Stecker hervorfrickeln, diagnostizieren. Mit dem kleinen Problemchen, dass die Handdiagnose leider nur das Vorhandensein von Fehlerchen anzeigte, aber nicht genau, welche.

"Das kann doch nicht sein?" Die Fragezeichen drehten die Richtung. Da hatte man ein Diagnosegerät, was nicht in der Lage war, Fehler genau zu kommunizieren? Konnte doch nicht. Wozu sollte es dann gut sein? Die Begeisterung für moderne Motorräder hatte ich noch nie, außer dass man nur einen Knopf drücken musste und sie meistens liefen ohne irgendwo auszugehen. Und dass Fahrwerk und Handling sich um Welten verbessert hatten, aber wozu war schon dieser ganze Elektronikkram gut? Ja, ok, ne Wheeliecontrol und ein du-startest-ich-fahr-vorwärts für Rennen konnte man auch brauchen, aber sonst?!? Ach, Traktionskontrolle war auch ganz hilfreich. Aber ich hatte schon einen Computer zum Arbeiten und wollte keinen zweiten, um ein Motorrad bedienen zu können.

Das gelbe Gerät hatte einen Fehler, und niemand konnte hier und heute wissen, welchen. Ich war für nicht einmal einen Tag Fahren nach Italien gekommen, wobei das Ziel "Motor einfahren" auch irgendwie dürftig erreicht war. Misano. Was sollte das?

Klick-klack-klingg - der Groschen fiel fast simultan. Da war doch letztes Jahr jemand in einer Werkstatt - "du kannst ja zur Werkstatt fahren, vielleicht können die da besser was auslesen", sagte Henning. Ja, da war. Da war nicht nur ein GYTR Shop, der mich vom Bekleidungsverkauf her - wegen der überschwänglichen Freundlichkeit und dem Gefühl, am Ende immer zuviel bezahlt zu haben - irgendwie an das italienische Restaurant aus den Simpsons erinnerte. Da war auch eine Werkstatt. Da, wo GYTR GRT obendrüber stand.

Also zuppelte ich die Reifenwärmer wieder ab, zog mich wieder an und rollte ab. Alles sah irgendwie geschlossen aus. Und ich stellte das gelbe Gerät erst einmal vor dem Shop ab, zog Handschuhe und Helm aus und stiefelte hinein. Hinter dem Tresen stand ein Herr. "Do you have - meccanico?" Herzklopfen. "Si", entgegnete er und rief direkt nach nebenan. Ein kleiner Italiener mit Wuschelkopf schaute durch den Türausschnitt und bestätigte, "aufzumachen". Aufmachen, was denn? Ach, so, die Schiebetüren vom Werkstatteingang. Wenige Minuten später stand das gelbe Gerät auf einer Bühne, und ich versuchte, das Phänomen so gut wie möglich zu erklären. Zwischendurch immer wieder große Augen, Lachen, Kopfkratzen.

Abermals Sitzbank runter, aber was dann kam, erstaunte mich. Auf einem Bürostuhl mit Rollen sah ich zu, wie flugs ein Laptop angestöpselt wurde und ich die Nachricht bekam. "There is an error - not sure if electronic or mechanic. Can be something with the throttle body." Throttle body. Oh, je. Es wird doch nicht der Stellmotor sein?!? Aber auch hier kam die Diagnose nicht voran. Ob wir kürzlich das exhaustventil ausgebaut hätten? Ich zuckte mit den Schultern und versuchte nochmal, zu erklären, was neu war. "Ennsaainne nuovo, throttle no, exhaust no" Genau. Und ganz bestimmt keine Kit-ECU. Die ganzen Umbauten hatten der Diagnosekommunikation den Weg verbaut. Er hielt mir einen R9 EXUP Emulator vor die Nase. Sowas könne helfen, damit wieder wer was Genaues diagnostizieren könne. Komplett ahnungslos, sagte ich mal "oh", mal "si", mal "not sure". Dabei fragte ich mich, wie oft hier wohl solche Hobbybastelgeräte standen. Vielleicht zum ersten Mal überhaupt in diesem Glaspalast.

Ich setzte mich wieder auf mein Rollgerät und schob mich hin, und her. Il meccanico kontrollierte währenddessen alle Steckverbindungen, und baute sogar die ECU dafür aus. Er kam zu mir und erklärte, wenn ich wiedre zuhause wäre, sollte mein Mechaniker bitte mal die Drosselklappeneinheit säubern, sie sei wirklich dreckig. (in meinem Kopf gab es irgendwas zwischen "oh, nein" und "wieso, kleben die?")

Erneutes Starten. Er drehte rechts, hielt, und die Drosselklappen drehten sich wie sie wollten. Drehzahl fiel ab. Vier Augen sahen dabei zu. Und mir fiel jetzt auch auf, wie die Klappen doch irgendwie angeranzt aussahen. Bevor mir das zu peinlich wurde, rollte ich wieder den Stuhl hin und her. Woher sollte ich wissen, was da wie gehörte. Und am allerwenigste hatte ich Ahnung davon. Weitere zwei Augen begutachteten das Problem. Nach über einer Stunde war das Urteil gefallen. Nein, man könne jetzt nichts machen. Ohne den genauen Fehler zu kennen: schwierig. Auslesen: unmöglich Es wäre wohl ein Elektronikproblem. Mechanisch sei alles OK. Ich sollte doch noch einmal Probefahren. Ich sah auf die Uhr. Heute definitiv nicht.

Il meccanico schnappte sich seinen Jet-Helm, nahm das gelbe Gerät und fuhr einige Male die Straße auf und ab.

Sein Übersetzungsprogramm schickte mich mit den Worten "I would not let you go if it was not safe" zurück in den Paddock. Ich sollte morgen nochmal probieren und dann wiederkommen.

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