Allein der Gedanke an `s Aufzynden lässt Adrenalin durch meine Adern pumpen. Ich habe noch nicht genannt, will aber auch raus und zynden.
Also klicke ich mich durch `s r4fun und werde bei Mototeam als Veranstalter fündig.
Das M.-Team bietet ein Fahrertraining auf dem Nürburgring für So. 25. April an. Dass kein Fahrerlager zu Verfügung steht und lediglich die Teilstrecke Müllenbachschleife / Schuhmacher S gefahren wird ist mir zu diesem Zeitpunkt piep egal.
Ich habe Glück, es sind noch Plätze frei. Ich nenne kurzentschlossen und vereinbare mit Josef als Veranstalter vom M.-Team die "Kohle" dann vor Ort zu bezahlen.
Mein Bulli ist am nächsten Morgen ruck zuck beladen, wobei ich in der Eile fast noch samt Race-Bike aus der geöffneten Seitentür gepurzelt wäre.
Um 10.00 Uhr befinde ich mich bereits auf der Autobahn Richtung Köln. Ich telefoniere über Handy mit Micha, der sich mit vielen Kumpels, die wir aus versch. Trainings & Seriensport gemeinsam kennen, auf dem Nürburgring befindet. Dort findet heute der 2. Lauf der Deutschen Serien-Sportmeisterschaft auf dem IDM-Kurs statt.
Weder Micha noch sonst einer meiner Freunde haben eine Ahnung, dass ich mich zeitgleich auf dem Nürburgring Teilstrecke Müllenbachschleife tummeln werde. Ich will Micha und vor allem auch meinen Freund Dinner ( Label22) während des Rennens überraschen.
Um 12.30 Uhr erreiche ich den vereinbarten Treffpunkt unterhalb der Tribüne T9. Der Untergrund ist nicht befestigt. Er besteht aus losem Schotter. Ich verzichte auf das Anlegen meiner Heizdecken, um durch aufgeheizte Pneus den Schotter nicht auch noch auf die Rennstrecke mit raus zu schleppen.
Josef erläuter kurz vor Beginn den Ablauf des heutigen Trainings-nachmittags. Er bringt ` s locker rüber, macht kleine Späßchen und wünscht uns allen viel Fahrspaß.
Gefahren wird in drei Gruppen. Ich habe für die „offene“ Gruppe genannt und bin erstmals um13.00 Uhr dran.
Während ich kurz vor 13:00 Uhr mein Race-Bike auf staubigem Schotter-weg bis zur Einfahrt vorziehe, frage mich, was ich datreibe und ob ich wohl von allen guten Geistern verlassen sei.
Schnell schiebe ich diesen Gedanken auch gleich wieder bei Seite. Ich will fahren, bin angefixt!

Die ersten Kumpels haben bereits einen Vorsprung rausgefahren. Ich steigere rasch das Tempo, hole auf, ziehe an 2 Kumpels vorbei. Ich fühle mich super entspannt, fast schon euphorisch. Ich setze zum Überholen an (von innen) als der Kumpel vor mir, an dessen Hinterrad ich mich bereits vorbeischiebe, auf die Kurzanbindung rechts einlenkt.
Von den Glückshormonen der vergangenen Woche hier auf der GP – Strecke völlig infiziert, habe ich die rechtsabgehende Kurzanbindung in diesem Moment nicht auf dem Schirm, scheine auf einem völlig anderen Kurs zu sein. Was ` ne Kacke!


Mit routiniertem Feingefühl auf der Bremse und ein wenig weniger Pech hätte es reichen können, mein Tempo noch effizient zu verzögern.
Doch stattdessen das Geräusch von über den Asphalt rutschender Rennpappe, nach dem sich mein Heck zuvor steil anhebt und ich über den Lenker vor `s Vorderrad falle.

Einen Abschuss des Kumpels kann ich noch verhindern. Für mich geht`s weniger glimpflich ab. Den Abflug über den Lenker kriege ich voll mit. Auch den Aufprall auf den Asphalt. Ich liege neben meinem Rennmoped, ringe nach Luft, habe fürchterliche Schmerzen im Brustkorb und fürchte gleich zu ersticken.
Auch mein Schlüsselbein und die Hüfte links verraten, dass ich heftig auf den Asphalt geknallt sein muss.
Jemand fragt, ob er mir den Helm abnehmen dürfe. "Kacke", denke ich, "warum ich schon wieder…und das auch noch mit meinem nagelneuen Race-Bike". Ich verliere das Bewusstsein.

Erst im Rettungshubschrauber kriege ich wieder mit, in welche Scheiße ich mich da wieder geritten habe.
Einige Tage später erfahre ich von meinem Freund und Schrauber Micha, der sich um die Rückholung meiner Klammotten kümmerte, dass von meinem kleinen rot weißen Rennteufel wohl nicht ganz so viel kaputt gegangen sei.

Der Doc Check in der Unfallklinik Koblenz an meinem geschundenen Body fällt leider weniger gut aus:
Daumengrundgelenk- (rechts) und Schlüsselbeinfraktur links; Rippenserienfraktur links, Lungenquetschung, Fraktur des Scham- und Steißbeins, des Beckenkamms und des Schienbeins in Nähe Sprunggelenks (wundert mich schon, trage doch den Testsieger unter den Stiefeln, den teuren Rennstiefel „Daytona“). Dazu ` ne Menge Prellungen, Kratz- und Schürfwunden.
Ich will nicht undankbar sein. Doch den stationären Aufenthalt in der Klinik Koblenz empfinde ich psychisch zusätzlich belastend. Wegen Personal-, Zeitnot und Arbeitsüberlastung des Pflegepersonals scheint mir die Klinik den eigenen Ansprüchen und allgemeingültigen Pflegestandards nicht genügend gerecht zu werden.
Die Unterstützung beim Waschen, Essen und bei der Benutzung der Bettpfanne (Horror!)



Meine Bettnachbarn Michael und Thomas hingegen machen mir den Aufenthalt erträglich. Dennoch freue mich jeden Tag auf die Verlegung nach Münster.

Bis die alten Knochen wieder zusammengewachsen und die vielen Wunden auskuriert sein werden, wird es vermutlich Herbst sein. Das bedeutet für mich die schmerzliche Tatsache, dass die Saison 2010, auf die ich mich mit meinem neuen race-bike so sehr gefreut habe, leider schon wieder zu Ende ist.
Eine erste dicke Träne kullert mir bei diesem Gedanken über die Wange

Inzwischen bin ich von Koblenz nach Münster in die Chirurgie verlegt worden. Ich bekomme viel Besuch. Meine Freunde und ich führen Diskussionen, ob es nicht besser sei, aufgrund meiner vielen Stürze, die immer heftiger zu werden scheinen, dass Aufzynden auf Europas Rennstrecken an den Nagel zu hängen. Einige von ihnen meinen gar zu erkennen, ich sei in besonderer Weise gesegnet, die selben Fehler immer wieder zu machen.
Dass mir zwei ähnliche Fehler so kurz hintereinander passieren und die Verletzungen (Mehrfachtraumatisierungen) jedes Mal heftiger ausfallen, lässt mich tatsächlich daran denken, dass es vielleicht doch richtiger sei, mit allem aufzuhören und das Bike zu verscherbeln.
Zu oft bin ich halt in letzter Zeit auf die Nase geflogen, was noch zu verschmerzen wäre (ganz ohne Stürze geht` s auf der Renne eben nicht) wenn sich daran nicht immer wieder längere Aufenthalte in Kliniken für Sporttraumatisierte und Wiederherstellungschirurgie anschließen würden.
Vielmehr noch beschäftigt mich, dass diesmal ein Rettungshubschrauber für meine Rettung wegen einer fetten Lungenquetschung eingesetzt werden musste und ich erneut längere Zeit ohne Bewusstsein war.

Das fordert selbst eine harte Socke wie mich zum Umdenken auf. Im Krankenhaus in Münster habe ich Zeit dazu, mehr als mir lieb ist.
Egal, von welcher Seite ich ` s angehe, ich spüre tief im Innersten meines Herzens, dass Rennstreckenfahren zu mir gehört wie die Knieschleifer zur Rennkombi. Nicht mehr zur Rennstrecke zu fahren und es vollständig aufzugeben käme der Amputation meiner Seele gleich. Geht also gar nicht!
Die Lösung kann also nur sein, meine Einstellung zu dem Ganzen zu ändern, will ich nicht eines Tages im Rollstuhl landen oder mich von diesem geilen Erdenball und all meinen netten Freunden vorzeitig verabschieden müssen.

Als erstes werde ich mich von der irrigen Annahme trennen, als nichtbegabter „Späteinsteiger“ und als jemand, der schon die Sechzig erreicht hat, noch ein Racer werden zu können. Das klappt nicht, führt zu Verkrampfungen und zu Frust, weil ich so stets dem eigen Anspruch hinterher fahre.
Ein Grund sicher mit, weshalb ich in Oschersleben die einmal erreichte Bestzeit von 1:42 nie wieder erreicht habe, obwohl oftmals auf der letzten Rille unterwegs. Umso enttäuschender dann, wenn `s „nur“ `ne 1:45 war.

Heute weiß ich, dass ich vielleicht zu viel wollte, ich meine für meine Verhältnisse. Deshalb entstand auch ein völlig unnötiger Druck, den ich mir selbst gemacht habe. Dieser Druck ist sicher auch entstanden durch Vergleiche mit Freunden, die mit mir in den Rennsport einstiegen und talentgesegneter als ich unterwegs sind.
Ich werd ` s künftig lockerer sehen und mich auch wieder über das freuen, was ich als „spätberufener“ Sportfahrer noch erreicht habe. Auch darüber, dass ich überhaupt noch dabei sein darf.

So gesehen nehme ich auch Abschied von der Vorstellung, ich müsse auf der Renne immer auch für eine persönliche Bestzeit unterwegs sein. Mein Laptimer bleibt demnächst zu Hause!
Für mich wird in Zukunft schon ein kleiner Sieg sein, alle Trainings möglichst heile zu beenden. Wenn ich dann nicht nur als „Laterne“ unterwegs bin, ein weiterer kleiner Sieg. Und wenn ich am Ende auch alles an einem Stück wieder nach Hause zurückbringe, wow, ein weiterer Sieg!

So locker werde ich das in Zukunft sehen, dann werde ich auch ohne Talent wieder Spaß haben und einmal mehr sitzen bleiben – ich bin sicher!
Neu wird auch sein, dass ich mein Bike, sobald es aufgebaut ist, gelegentlich wieder auf der Straße bewegen werde. Nach all den vielen Nackenschlägen fühle ich mich heute einmal mehr in der Lage, dies auch mit der notwendigen „Reife“ (StVO) zu tun.

Einen herzlichen Dank möchte ich noch richten an die Zynder-Gemeinschaft mit Josef Sch. von MotoTeam für die viele Hilfe und Unterstützung, ohne die weder der schnelle Rettungseinsatz noch das Verstauen meines Rennbikes und der übrigen Klamotten in meinen T4 so gut geklappt hätte.
In diesen Dank schließe ich eben so meine Freunde Kirsten, Heike, Micha und Acci (Münster) ein.
Danke auch für all die vielen, vielen guten Wünsche die mich in meinem Gästebuch oder auch per Email, per sms und am Telefon erreicht haben.
Ich werde voraussichtlich noch eine Woche hier in Münster im Krankenhaus liegen und Zeit haben, über all die vielen guten Tipps und Ratschläge ernsthaft nachzudenken. Falls Ihr noch weitere Anregungen habt – immer gerne!
Vielen Dank auch für ` s Lesen bis hierher
Salü Euer Sharon
