@Tsedee> Lies das!
Die letzte Runde am Abend am Schleizer Dreieck
Die nun folgende Beschreibung meiner letzten Runde am 07.05.2006 in Schleiz stelle man sich vor auf einer Yamaha R1, Bj. 2005, mit ca. 170 PS, und einem fast neuen, soften Power Race-Hinterreifen.
2005 dachte ich noch, meine SC57 sei ein geiles Mopped, und Lédénon sei die absolute Männerstrecke, aber weit gefehlt.....
Doch nun zur Runde:
Zielgerade: Ich überquere die Ziellinie mit geschätzten 200 km/h im dritten Gang auf dem Hinterrad und schalte in den Vierten.
Viel zu schnell fliege ich auf die erste, schnelle Links zu. Gestern war ich noch im Schwuchtelmodus in die Kurve reingerollt, jetzt lasse ich stehen bis mein Herz, das sich schon in der Magengegend befindet, kurz aussetzt, und mir den Bremspunkt vorgibt.
Wuuuuuuuu, das wär spät!! Aber mit dem phänomenalen Vorderreifen kann ich problemlos bis fast in den Scheitel der Kurve einbremsen. Die angehaltene Luft einweicht meiner Lunge in einem Seufzer, halb vor Entzücken, halb vor Dankbarkeit.
Der BBS (Bitumen-Beschaffenheits-Sensor) in meiner Speedhypophyse meldet sich. Die rote Lampe blinkt - Vorsicht Bodenwelle! Ich rausche drüber und beschleunige leicht rutschend bergauf auf die nächste endsgeile Kurve zu. Wieder bremse ich später als üblich, lande irgendwie wild schlingernd im Scheitelpunkt dieser überhöhten über-die-Kuppe-Kurve, die mich immer wieder an die coolste Kurve auf Phillip`s Insel erinnert.
Genial! Fück, schon wieder die Luft angehalten! Also locker flockig in die schnelle Bergabrechts einschwenken, im Dritten kurz beschleunigen, beim Umlegen in die nächste schnelle Bergablinks in den Vierten und mit Vollgas auf dem Tank liegend den Berg runter.
Kurz vor dem Rechtsknick bin ich im Begrenzer, sowohl motorseitig als auch mental.
Ich atme stoßweise, hechelnd, so wie es den Schwangeren in der Geburtsvorbereitung befohlen wird. Mein Herz befindet sich zu dem Zeitpunkt knapp unterhalb der Hüfte.
Mit wehendem linken Knie fliege ich auf den Linksknick zu, der wieder über eine Kuppe führt.
Hechel hechel, uff uff ufffffffffffffffff!!!!!!!!
Als das Vorderrad in Linksschräglage wieder den Bodenkontakt verliert, blase ich die angestaute Luft in den Helm. Das Vorderrad setzt wieder auf, ich beschleunige nochmal kurz und geh dann viel zu spät in die Eisen. Ich spüre wie mein Herz von innen gegen meine linke Kniescheibe drückt. Es pocht wie ein Telegraphenschreiber, der permanent SOS sendet.
Die Hinterhand bricht nach rechts aus, ich lenke so gut es geht Richtung der 90-Grad-Links, die auf die erste Schikane zuführt.
Uff, ich lande ca. 2 Meter neben dem Scheitelpunkt und kann so wieder perfekt auf die Schikane hinbeschleunigen.
Ich nehme mir vor, vor der Schikane nicht zu spät zu bremsen, da es dort in der Anbremszone extrem wellig ist. Aber die Realität sieht anders aus - ich lenke auf der Bremse ein, sehe noch alle 4 Warnlampen des BBS aufleuchten, und rumple über die Bodenwellen wie John Wayne auf Koks. Meine verbliebenen Amalgamkumpels sagen tschau und verabschieden sich in meinen Rachenraum. Egal, es muss weitergehen. In dieser Runde muss die 1:32,9 des kranken Rigo fallen, die er zuvor auf seiner R6 ins Dreieck gemalt hat!
Beim Umlegen in die Links hebt da Vorderrad kurz ab, setzt aber rechtzeitig vor der Kurve wieder auf. Ich lasse mich weit raustreiben, da dort die Bodenwellen nicht so schlimm sind wie innen.
Ich vergesse die ständigen Ermahnungen meiner Schwiegermutter, das Maul und vor allem das Gas nicht zu weit bzw. zu früh aufzureißen und gebe einfach Stoff.
Der Franzgummi quittiert das mit einem leichten Slide, der sofort und übergangslos in einen Linkswheelie übergeht. Als ich in den Dritten schalte kommt das Rad wieder runter und die Yamselgranate katapultiert mich in den nächsten Teil der schleizerischen Achterbahn.
In einer schnellen, bergab führenden Linkskurve treffen sich 2 Straßen, die dann gemeinsam in einen Speedschlund führen, der alte und einsame Aufzünder zu fressen pflegt.
Zuvor war ich den Speedschlund immer im Vierten fast auf Anschlag gefahren, aber diesmal bin ich schon weit vor der schnellsten Stelle nach dem leichten Linksknick im Begrenzer, und muss in den Fünften schalten. Ein gutes Zeichen. Diese Runde ist bis jetzt viel schneller als die 1:34,9, die ich im letzten Turn auf einer durch eine schleichende KTM leicht verhunzten Runde gefahren war (Ich frage mich was diese albernen Affen mit ihren 60 PS-Enduros überhaupt auf einer Rennstrecke verloren haben... *beprünzel*

)))))
Ich flieg also im fünften Gang mit gefühlten 334 km/h in den Höllenschlund, lege hart in die schnelle Rechts um, um dann mit einem Irrsinnsspeed durch die ebenso irrsinnige Linkskurve zu brennen.
Aaaaaaaaaaaaaaaaah, ich hatte wieder die Luft angehalten. Mein Herz pocht jetzt im Ringzeh des linken Fußes.
Entweiche oh Odem! Pffffffffffffffffff~~~~~~~~~
Ich warte bis der weiße Strich am linken Fahrbahnrand aufhört, haue das Getriebe um zwei Stufen nach unten, lenke nach rechts und schieße auf die enge Linkskehre zu, die sich an die schnelle Rechtssituation anschließt.
Hechel hechel hechel hechel, nein, noch nicht bremsen, in Rechtsschräglage nochmal einen Gang runtertreten, aaaaaaaah, jetzt, jaaaaaaaaa.
Ich bremse wieder viel zu spät, schaffe es aber wie durch ein Wunder, den Scheitelpunkt zu treffen, und beschleunige mit rutschendem Hinterrad aus der Kehre bergauf.
Bei ca. 7000 Umdrehungen im zweiten Gang trifft das Vorderrad vor der folgenden Kuppe auf eine Bodenwelle und hebt unweigerlich ab. Ich will den Wheelie nur so lange wie nötig halten und schalte dann schnell in den Dritten. Doch das Vorderrad will trotzdem noch nicht aufsetzen. Es befindet sich aber konstant nur ca. 20 cm über dem Boden, und so kann ich voll durchbeschleunigen, ohne Zeit zu verlieren.
Auf der kurzen Geraden drück ich dann noch den Vierten rein, das Vorderrad landet wieder auf dem ihm verhassten Bitumen, und ich rase, wieder mit angehaltener Luft, auf die letzte Schikane zu, wo ein Herr Wegscheider einst beim Anbremsen die Kontrolle verlor, und im Anschluss mitsamt dem Mopped eine 3 m tiefe Böschung runterplumpste.
Ich lasse wieder 10 m länger stehen als normal und rutsche komplett quer in die Rechts der Schikane. Es ist ein Wahnsinn was man mit diesem Vorderreifen anstellen kann!
Wieder schaffe ich eine korrekte Scheitelpunktlandung und beschleunige nochmal kurz in einem engen Bogen auf die letzte Linkskurve zu, um besser auf Start/Ziel rausbeschleunigen zu können. Yiiiiiiiieeeeeeeeeehaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa, das wird eine Megazeit! Mein Grinsen nimmt erschreckende Ausmaße an. Ich brülle wilde Sachen wie „Ich will Michael Dangrieß heiraten!“ oder "Freens ist hübsch!" in meinen Helm, als ich erneut leicht driftend, im zweiten Gang, ein letztes Mal auf die Zielgerade rausbrezle. Ja, ja, ja, ja, jaaaaaaaaaaaaaa, das Vorderrad steigt wie immer leicht an, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich schalte in den dritten Gang, ich versuche, in den dritten Gang zu schalten - die Drehzahl liegt bei ca. 45000 Umdrehungen im Zweiten, als ich nach links runterschaue und sehe, dass der Schalthebel fehlt.
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah, nein, nicht! Nein! Nein! Das kann und darf nicht sein. Ich werde weich. Tränen der Trauer kullern an meinen samtweichen Wangen hinab, als ich mit schreiendem Motor im zweiten Gang über die Ziellinie fahre.
Es wird noch eine 1:35,1. Um den Kummer zu vertreiben, fahre ich noch eine Runde im zweiten Gang über diese unglaubliche Strecke, und als ich die zufrieden knisternde R1 wieder im Lager der Hässlichen auf den Ständer stelle, da habe ich schon wieder fast vergessen, was hätte sein können.
Das Leben ist einfach nur schön....