Nicht zuletzt durch dieses ehrenwerte Forum ermuntert, meldete ich mich zum „Karneval in Cartagena“ im sonnigen Südspanien an. Dort war freies Fahren ohne Gruppeneinteilung angesagt, ausgenommen jede volle Stunde eine „Attack Time“

von 10 min. für Lizenzler & Co. sowie 4x 20 min. am Tag für Klassik-Motorräder
Meine Kringelerfahrung beschränkte sich bis dato auf instruktorengeführtes ADAC-Perfektionstraining auf der Nordschleife, wo ich in Gruppe 19 – dann 17 – dann wurd’s trocken:

- Gr. 20 (von 22, die schnellste war übrigens Gruppe 1...) mit meiner alten BMW und ihren fetten 60 PS mitgerollt bin. Da es mir in den Instruktorengruppen immer entweder zu langsam oder zu schnell abging, meinte ich, dass so ein freies Fahren über mehrere Tage zum Kennenlernen der Rennstreckenfahrerei für mich richtig sei. Ach ja, für die anderen Teilnehmer hier mein Outing: ich war der 2 m lange Typ auf der knallroten Sportboxer-Kuh, und wohl der einzige Teilnehmer mit Hauptständer und Serienauspuff... also gut sichtbar, aber unhörbar...
Die Organisation durch den Veranstalter Wolf Töns (der mit Familie vor Ort war) war sehr ordentlich. Komplette Vorab-Infos über Anreise, Leihwagen, Hotels usw. waren rechtzeitig da. Vor Ort waren er und sein Mitarbeiter Matthias immer ansprechbar und hilfsbereit

. Zusammen mit etlichen BMW-Kollegen aus dem S-Boxer-Forum reiste meine „Kuh“ dann gen Süden, ich selbst per Flieger hinterher. Am Mittwochabend waren wir alle vor Ort, Einschreibung, Auspacken und Boxen beziehen – bis dahin wirkte das Ganze wie ein harmloser Campingurlaub. Die Strecke liegt bei einem kleinen Kiesabbaugebiet, ist selbst aber nicht staubig, hat eine schön breite Fahrbahn und großzügige Auslaufzonen. Nur die Boxen, die waren geräumig aber arg einfach... mit Maschendrahtunterteilung und 150 m von den meist kalten Duschen entfernt. Zum Übernachten war es nicht wirklich gemütlich.
Am ersten Tag war der Vormittag für instruktorengeführtes Kennenlernen der Strecke reserviert. Das war auch wichtig, denn der Kurs besteht mit Ausnahme der ca. 600 m lagen SZ-Gerade nur aus Kurven aller Art.

Einen groben Überblick über die Linie hatte ich schnell, einen feinen bis heute nicht

... da kann aber der Instruktor nichts für. Was mir auch auffiel: das Niveau lag sehr hoch, fast alle hatten speziell für die Rennerei aufgebaute Maschinen und auch entsprechende Erfahrung. Die „Attack Times“ wurden von IDM-Fahrern genutzt, alpha-Technik mit einem Riesentruck und den Herren Waldmann und Schulten war die ganze Zeit da, später noch Chambon, sowie 125er Racer (unglaublich, wie die surfen...) inkl. KTM-Racingteam.
Mir wurde ganz anders

. Selbst die harmlos aussehenden Boxer-Kollegen entpuppten sich als gnadenlose Kabelzieher. Es dämmerte mir, dass ich wohl der einzige Anfänger war, der so bekloppt ist, ein derart aufwendiges Event zu buchen

. Also suchte ich mir die ersten zwei Tage die eher ruhigen Runden der Klassiker aus und fuhr dort mit Instruktor – einem freundlichen Tiroler, der seine R6 mit Kennzeichen & Spiegel vor mir im erhöhten Leerlauf bewegte, und ich japsend hinterher... so kam es mir jedenfalls vor. Er turnte locker auf dem Gerät, ich kerzengerade mit beiden Knien fest am Tank hinterher, gelegentlich mit den Angstnippeln den edlen Asphalt verletzend. Mit meinem hochmodernen hyperstarken 98-PS-Boxer gelang es aber, eine edle Laverda (ca. 1975) zu überholen (mit einem sehr netten Fahrer übrigens), bevor mich eine ca. 1976er Guzzi (auch mit einem sehr netten Fahrer) grauslich herbrannte...
Die beiden letzten Tage traute ich mich dann aber auch ins freie Fahren, weil man mir attestierte

, dass ich eine berechenbar runde Linie fuhr und beim (andauernden) Überholtwerden nicht herumzuckte. Und so ließ langsam die Verkrampfung nach, die Kuh kratzte öfter ein bisschen, das Spiel mit der Fliehkraft begann Laune zu machen, der Lenker wurde nicht mehr so arg gewürgt – und dann kam der Verbremser nach dem „Omega“, und ausgerechnet Mr. Waldmann musste wegen mir in die Eisen und drehte sich mit strafendem Blick um

, nachdem er mich irgendwie umschifft hatte. Das war schon peinlich... aber da er hinterher in der Boxengasse ganz normal guckte, schien es doch nicht so schlimm für ihn gewesen zu sein. Oder er ist ein sehr nachsichtiger Mensch, kann ja auch sein.
Insgesamt waren ca. 50 Moppeds an der Strecke – nein, falsch, ca. 50 Fahrer (und –innen) mit mindestens 80 ernsthaft wirkenden Rennmaschinen. Plus etwa 10 ernste Straßeneisen, plus eine serienmäßige rote Boxer... insgesamt war die Strecke damit nicht ausgelastet, es gab keine Wartezeit am Vorstart, und das Ganze lief außerordentlich relaxed und diszipliniert ab. Bestimmt habe ich – runde Linie hin oder her – den einen oder anderen genervt, aber es wurde immer mit viel Platz und auf der sicheren Seite überholt, ohne irgendwelche Gemeinheiten. Auf den insgesamt ca. 550 Rennstrecken-km habe ich mich sicherer gefühlt als bei den meisten Wochenendtouren.
Und das Wetter im sonnigen Südspanien: windig, tags 12 - 16°, nachts knapp über Null, aber bis auf eine Regennacht trocken. Für mich war der Vormittag mit feuchter Strecke übrigens sehr lehrreich und auch spaßig: fast niemand auf der Piste, da konnte ich gefahrlos leichte Slides üben...
Fazit: es war anstrengend, anfängliches Muffensausen wurde durch Zutrauen ersetzt, es hat riesig Spaß gemacht. Strecke, Veranstalter, Teilnehmer – alle schwer in Ordnung. Ich fürchte, ich habe mich infiziert...
Freundliche Grüße, vor allem an die rücksichtvollen Aufzünd-Erfahrenen, denen ich leichte Beute war!
Thomas, die Wanderschikane # 59