Es sieht aus, als ob nicht viel kaputt ist. Die Verkleidung ist eingedrückt und voll mit Kies. Henning will mir helfen, bekommt aber sofort einen Rüffel dafür. Was ich selbst verbockt habe, das will ich auch selbst wieder panzertapen. Ich lasse meinen Ärger über mich selbst an Verkleidungsschrauben und Steinchen aus. „So ein blöder Scheiß“, denke ich mir, „hätte ich nicht warten können, bis ich wach bin? Was ist wenn ich in Osche…? Blablabla - wie war das nochmal mit der selbsterfüllenden Prophezeiung? Welcher Idiot patscht in die Vorderradbremse??? Wir wissen doch alle, dass das die schlechteste Idee ist, die man haben kann!“ Zur Beschwichtigung fasse ich den Gedanken, dass es vielleicht ganz gut ist, dass ich mich so vom Moped getrennt habe. Mit meinen Stummelbeinen hätte ich es sowieso schlecht halten können. Und wer weiß, was ich mir dann wehgetan hätte.
Sicher nicht den Hinterkopf. An meinem Helm ist ein ziemlich deutlicher Kiesplatzer. Und am Kopf merke ich, dass ich dort an den Helm angestoßen bin. „Unverantwortlich“, „fahrlässig“, „viel zu riskant“ – was fallen mir sonst immer für Beschreibungen für Leute ein, die nach einem Sturz ihren Helm weiternutzen? Willkommen in der Realität des Lebens. In meinem Kopf singen die Ärzte „wenn das mal alles so einfach wär,….“ Nach etwas Kraftaufwand und einigen Streifen Panzertape passt die untere Verkleidung wieder einigermaßen, und die Tankhaube sieht aus, als ob sie halten könnte. Aber den Helm, den müsste ich eigentlich – nach meinen eigenen Prinzipien – in die Tonne stecken. Ich fege den Kies zusammen, und nach einigem Hin und Her fasse ich den Entschluss, den Helm weiter zu benutzen. Meine Begründung dafür: Am restlichen Körper habe ich keinerlei Prellungen, so dass der Helm wohl auch nicht so schlimm komprimiert sein kann. Ich ziehe meinem Moped die Wärmer an und bin pünktlich zum zweiten Turn startbereit. Das mit dem Gruppenwechsel kann ich mir dann wohl abschminken, jetzt muss ich erstmal fahren, so gut es geht.
Die Gruppe ist immer noch genau so voll wie vorher. Und ich finde es immer noch genau so zum Kotzen. Der Laptimer zeigt mir nicht eine Runde unter 2 Minuten. Meine 1:57 aus Mai ist Lichtjahre entfernt. Vielleicht auch, weil ich jetzt ganz alleine fahre. Engelchen und Teufelchen habe ich beide im Gaskasten im Anhänger eingesperrt. Das blöde Vorwürfemachen und Anstacheln ging mir auf den Sack.
Auf dieser Rundreise werde ich sicher keine Heldentaten mehr vollbringen, jeder Blick auf den Tacho irritiert mich wegen der kürzeren Übersetzung, und der Laptimer entmutigt mich. Seufz. Und mein erklärtes Karriereziel, Henning endlich gepflegt herzubrennen, war noch nie so weit entfernt.
Henning war seinerseits auch unzufrieden. Ihm fehlten einige Sekunden im Vergleich zur Veranstaltung im Mai. „Es ist nie einfach, mit einem Moped, was verkauft werden soll, alles zu geben“, denke ich mir, und lasse meinen Blick über das glänzende, unbefleckte Zweirad neben meinem „Gebrauchsgegenstand“ schweifen. Wie oft habe ich meine Suzinette schon zu Boden gezwungen. Ob sie wohl noch lange halten würde? Ich bin dankbar, dass sie noch nicht auseinandergebrochen ist, und nehme mir fest vor, es in dieser Saison zumindest nicht noch schlimmer zu machen.
Nach der Mittagspause habe ich mich auch mit meinem Schicksal abgefunden. Ich will keinen Aufstand machen, um auf Krampf die Gruppe zu wechseln. Die Zeiten lassen es einfach nicht zu. „Wenn du nicht vorbei kommst, bist du auch nicht wirklich schneller“, sage ich mir. Ich entschließe mich, aus dem eigentlich geplanten Zeitenkampf ein Überholtraining zu machen, und klebe den Tacho ab.
Und ich überhole, am Kurveneingang, am Kurvenausgang, außenrum, vor der Schikane auf der Regenrinne

und auf den Geraden. Die Lenkerwackler beim Beschleunigen sind immer noch ungewohnt, bringen mich jetzt aber nicht mehr jedemal aus der Fassung. Aber, was ist das? Ich kann mich auf den Geraden entspannt auf den Tank legen und durch die Scheibe sehen.
Das fühlt sich schnell an. Sind die Angriffstummel also noch für mehr gut, als mich ins Kiesbett zu befördern. Beim Bremsen kommt so langsam das lange vermisste Heckschwänzeln wieder, das sich seit Einbau der Antihopskupplung nicht mehr gezeigt hatte. Doch egal, was ist tue, ich schaffe es nur einmal, die 1:59 anzukratzen.
Am Ende des Tages bin ich lange nicht so erschöpft wie sonst. Ich habe auch kein „Knie“, oder „Rücken“, ich bin einfach nur müde. Henning hat Mitleid, packt unseren Kram in den Anhänger und schleppt den auf den Parkplatz gegenüber der Imbissbude. Unser ebenso lärmgeplagter Nachbar aus Hamburg zieht mit um. Durch den Umzug verpassen wir leider ein Burn-Out-Schauspiel unserer Arschlochnachbarn, bei dem sich jemand – ooooh, das ist aber schade – aufs Mett packte. Kommentar unseres Hamburger Leidensgenossen: „Hoffentlich war die Verkleidung teuer.“ Ich wünsche dazu noch ein paar eindrucksvolle Schmerzen.
Eigentlich ein schöner Abend. Bis auf die leidige Diskussion mit dem Hamburger, dass ich mir doch mal nen Instruktor nehmen sollte, damit ich schneller fahren kann, wegen der Linie und so. „Ganz falsches Thema“, denke ich mir und sage: „Meine Linie ist nicht das Problem. Meine Linie ist nie richtig Scheiße. Das ist nicht der Grund, warum ich langsam bin.“ ("ich bin langsam, weil ich nicht schnell fahre", denke ich, und seufze schon wieder in mich rein; wann würde ich das endlich ändern?) Glauben will er das nicht. Bei ihm geht es jetzt in die Richtung „übermotiviertes Mädchen“ (auch ein schlechtes Thema). „Ja, aber das mit dem Kiesbett…“ redet er weiter. Er wäre ja schneller unterwegs als ich, hätte aber noch nie irgendein Kiesbett besucht…Ich habe schon abgeschaltet. Das hätte er vermutlich auch, wenn ihm da schon bewusst gewesen wäre, dass auch er am nächsten Tag auf ganz ähnliche Weise im Kiesbett landen sollte.
Es dauerte nicht mehr lange und wir verkrochen uns ins Bett. Es hörte sich nach einer ruhigen Nacht an. Der nächste Tag würde besser werden.